Blutbraut
war. »Kann ich vielleicht auch einen Kaffee bekommen?«
»Natürlich.« Ganz kurz glaubte ich ein Lächeln über seine Lippen huschen zu sehen, dann hatte er sich schon umgedreht und wollte offenbar die Tür eines der Hängeschränke neben dem Spülstein öffnen. – Noch im Ansatz der Bewegung hielt er inne und stieß ein Zischen aus, während er mit der anderen Hand seine Schulter umfasste und den Arm vorsichtig im Gelenk bewegte, so als hätte er Schmerzen. Erst nach einem weiteren Augenblick nahm er die Hand wieder von der Schulter und holte mir eine Tasse aus dem Schrank. Ich biss mir auf die Lippe. War das auch von heute Nacht? – Herr im Himmel, Lucinda, hör auf damit! Hätte Rafael dich nicht hierhergebracht, wäre das sicher nicht passiert. Er ist selbst schuld!
Ich zuckte zusammen, als er die Tasse auf den Küchentresen stellte. Dampf kräuselte sich darüber. Der Duft von Kaffee wehte zu mir. Ein Löffel, Zuckerdose und die Milchtüte folgten.
»Willst du dich nicht setzen?« Er wies auf einen der modernen Hocker aus Metall und Holz, die auf meiner Seite des Tresens standen.
Steif kletterte ich auf den, der mir am nächsten war, und zog die Tasse zu mir heran. Sie war heiß.
»Sind Rührei und Toast als Auftakt für ein verspätetes Frühstück in Ordnung?«
Ich starrte ihn an, die Hand bereits nach der Zuckerdose ausgestreckt in der Luft.
Er hatte sich schon wieder halb nach Arbeitsplatte und Herd umgedreht, hielt jetzt jedoch inne. »Oder magst du neuerdings
kein Rührei mehr?« Eine feine Falte erschien zwischen seinen Brauen. »Du kannst auch Speck oder Würstchen bekommen. Oder Cornflakes …«
Ich erwachte aus meiner Verblüffung. »Nein, Rührei und Toast sind in Ordnung.« Hastig schüttelte ich den Kopf. Woher wusste er, dass ich gerne Rührei aß? »Aber ich …«
»Was? Bist nicht hungrig?« Er stieß ein spöttisches Schnauben aus. »Soweit ich weiß, hast du gestern den ganzen Tag nichts gegessen. Was vorgestern war, kann ich nicht sagen, aber heute haben wir auch schon wieder Mittag … Du bist vielleicht noch nicht am ver hungern, aber hungrig musst du sein, mi flor.«
Mit zusammengebissenen Zähnen schob ich das Kinn vor. »Ich frühstücke normalerweise nie.« Das war gelogen.
»Ich auch nicht. Aber das hier fällt schon unter ›Mittagessen‹«, hielt er noch immer irgendwie spöttisch dagegen und wandte mir endgültig den Rücken zu. Der Geruch nach Lavendel war wieder in der Luft. Ich schaufelte Zucker in meinen Kaffee.
Die nächsten Minuten saß ich da, umklammerte meine Tasse mit beiden Händen, nippte ab und an daran und beobachtete ihn dabei, wie er mir Frühstück machte. Er!
Als er Toast, Butter, Marmelade und Erdnussbutter vor mich stellte, knurrte mein Magen – was mir einen belustigten Blick einbrachte. Der Berg an Rührei mit frischen Kräutern, der sich auf dem Teller türmte, den er mir gleich darauf hinschob, schien dann auch für jemanden gedacht zu sein, der kurz vor dem Verhungern war. Den krönenden Abschluss bildete ein großes Glas Orangensaft.
Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte er sich dann an die Arbeitsplatte neben dem Herd und beobachtete, wie ich
misstrauisch die Gabel in den Eierflocken versenkte und mir einige davon in den Mund schob. Ich kaute, schluckte – und hätte um ein Haar aufgestöhnt. Sie waren … köstlich. Weich und fluffig; genau nach meinem Geschmack gewürzt. Ich grub die Gabel erneut hinein und vertilgte schamlos Bissen um Bissen, strich mir zwischendurch Butter und Marmelade – Ananas, meine Lieblingssorte – auf die warmen Toastscheiben und spülte alles immer wieder mit Orangensaft und Kaffee hinunter. Auch wenn ich es niemals zugegeben hätte: Ich war hungrig gewesen.
Ich erwachte ziemlich abrupt aus meinem Frühstücksrausch, als er unvermittelt auf der anderen Seite des Tresens stand. Meine Gabel klapperte misstönend gegen den Teller. Von einem Herzschlag zum nächsten saß ich stocksteif. Schlagartig fiel mir das Atmen schwer. So weit ich konnte, wich ich auf meinem Hocker zurück. Eine Sekunde schien es, als würde er die Zähne zusammenbeißen, dann hob er die Kaffeekanne in einer fragenden Geste.
»Noch eine Tasse?«
Wie benommen starrte ich ihn an, blinzelte, nickte schließlich. Großer Gott, er hatte es für kurze Zeit tatsächlich geschafft, mich einzulullen; mich vergessen zu lassen, was er war; was er von mir wollte, indem er einen auf sanft und lieb und fürsorglich machte. Dabei hatte Tante
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