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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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hatte immer wieder alles zurückgelassen. Erneut holte ich tief Luft. Ich wollte dieses Leben nicht mehr. Ich hatte es nie gewollt. Und jetzt war ich hier. Ich hatte keine andere Möglichkeit, als mich ihm zu stellen. Nach dem, was dieser Rogier gesagt hatte, musste ich ihm offenbar mein Blut freiwillig geben; ansonsten war ich nutzlos für ihn. Wenn ich ihm klarmachen konnte, dass das nie, niemals der Fall sein würde, konnte ich ihn ja vielleicht doch dazu bringen, mich gehen zu lassen.
    Mein Spiegelbild verzog den Mund zu einem freudlosen Lächeln.
    Glaubte ich das tatsächlich? Ich biss die Zähne zusammen. Nein. Aber vielleicht konnte ich ihn ja tatsächlich hinhalten: Vielleicht schaffte ich es ja doch, seine Nähe wenigstens so weit zu ertragen, dass ich scheinbar gute Miene zum bösen Spiel machen konnte. Bis sich mir irgendeine Möglichkeit bot, von hier wegzukommen. Also doch wieder davonlaufen? Es fühlte sich an, als würde ich mich im Kreis drehen.
    Ich trat vom Waschbecken zurück. Er wollte mein Blut und
mein Leben. Meinetwegen. Aber ich würde mich nicht freiwillig in mein Schicksal fügen, wenn ich auch nur den Hauch einer Chance hatte, ihm zu entgehen. Egal wie.
    Entschieden zog ich mich aus und stieg unter die Dusche.
     
    Mein Anfall von Entschlossenheit verabschiedete sich, als ich die Treppe ins Erdgeschoss hinunterstieg. Mit jeder Stufe fühlte mein Inneres sich mehr an wie ein Handtuch, dass man so oft zusammengedreht hatte, dass es sich schon um sich selbst wand. Das Haus war still, wie ausgestorben. Die geschlossenen Fensterläden sorgten für dämmrige Kühle. Auf dem letzten Tritt blieb ich stehen, lauschte. Aus dem hinteren Teil, aus Richtung der Küche, kam ein gedämpftes Scharren und Klappern. – Zusammen mit dem Duft von frischem Kaffee. Mein Magen meldete sich mit einem leisen Rumoren.
    Bitte, lass es Cris sein!, flehte ich lautlos, während ich den Geräuschen nach einem letzten Zögern folgte.
    Mein Gebet wurde nicht erhört.
    Obwohl er mit dem Rücken zu mir stand, hob er im selben Moment den Kopf, in dem ich die Küche betrat. So als hätte er mich … gespürt. Oder gewittert. Bei seiner Bewegung war ich erstarrt. Ohne Hast drehte er sich um, musterte mich eingehend. Unter seinem Blick schrie alles in mir ›Lauf!‹. Dennoch blieb ich stehen, auch wenn ich nicht anders konnte, als die Arme um meine Mitte zu legen. Und ich schaffte es sogar, ihn meinerseits anzusehen.
    Ein weißes, nur nachlässig zugeknöpftes Hemd, dessen Ärmel aufgekrempelt waren, hing über einer ausgeblichenen Jeans. Die Tätowierungen an seinen Unterarmen waren nicht zu übersehen. Ebenso wie die Spuren dieser seltsamen Kratzer.
Hatte er sich am Kleiderschrank seines Bruders bedient, um an etwas anderes als Anzug und Krawatte zu kommen? Seine Augen schienen heller zu sein als noch am Vortag; oder war der fahle Ring um seine Pupille breiter geworden? Ich konnte es auf die Entfernung nicht genau sagen. Ein verschorfter Riss spaltete seine rechte Braue. Auf seinem Wangenknochen und an der Seite des Kiefers schillerten zwei dunkelblaue Blutergüsse. Seine Unterlippe war aufgeplatzt. Unwillkürlich runzelte ich die Stirn. War das am Ende meinetwegen passiert, heute Nacht, als er mich zurückgeholt hatte? Himmel. Zu meinem eigenen Erstaunen regte sich etwas wie schlechtes Gewissen in mir. Vor allem die geschwollene Lippe sah aus, als müsse sie wehtun.
    »Buenos días, Lucinda.« Seine Stimme war wieder jener weiche Bariton. Sie jagte mir einen Schauer den Rücken hinab.
    Ich räusperte mich. »Kann ich …«
    »Alles in Ordnung?« Er wies auf seine Wange und neigte dabei den Kopf in meine Richtung. Unbewusst hob ich selbst die Hand und berührte meine eigene. Als ich merkte, was ich tat, ließ ich sie wieder sinken.
    »Ja. – Guten Morgen.« Ich fühlte mich seltsam befangen, während ich nickte. »Kann ich …«
    »Und deine Handgelenke?« Seine Augen waren von meinem Gesicht abwärtsgeglitten.
    Zögernd löste ich auch meinen zweiten Arm und hielt ihm beide entgegen, drehte sogar die Hände, damit er meine Gelenke sehen konnte. Die Frage, wie es sein konnte, dass alles schon so gut verheilt war, brannte mir auf der Zunge. Ich schluckte sie runter. Cris hätte ich sie gestellt, vielleicht sogar Rafael, aber ihm … nein.
    »Gut.« Diesmal war er es, der nickte.

    Ich räusperte mich erneut, versuchte zu ignorieren, dass sein Blick eine Sekunde zu lang auf der Narbe an meinem Handgelenk hängen geblieben

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