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Blutbraut

Blutbraut

Titel: Blutbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lynn Raven
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Schritten wurde mir bewusst, dass er mir nicht folgte. Ich drehte mich zu ihm um. Er stand noch immer an der gleichen Stelle mitten in der Sonne. Er hatte zu den Ruinen des Stalles hingesehen, jetzt wandte er sich wieder zu mir um. »Kannst du dich denn wirklich gar nicht mehr an all das hier erinnern?«, fragte er leise, ehe ich etwas sagen konnte.
    »Aber ich erinnere mich doch …«, setzte ich verwirrt an. Und verstummte, als er erneut den Kopf schüttelte.
    »Das meine ich nicht.« Langsam trat er zu mir in den Schatten. » – Du hast mal hier gelebt. Hier auf Santa Reyada. Bis María dich entführt hat.«
    Es war, als hätte ein Blitz neben mir eingeschlagen.
    »Erinnerst du dich denn überhaupt nicht mehr an uns?«
    Ich starrte ihn nur an, brachte keinen Ton heraus.
    »Du hattest ein Pony. Mein Vater hat es dir geschenkt, weil du von Anfang an verrückt nach Pferden warst. Sein Name war Donny. Du hast es mit Zuckerstücken und Keksen vollgestopft. Ganz egal, was wir dir gesagt haben. Irgendwann hat Joaquín es nur noch Tonnie genannt, wenn du in der Nähe warst. Du hast dich jedes Mal wie eine Furie auf ihn gestürzt.«
    Noch immer war ich nicht in der Lage, mich zu bewegen. Ich sollte … hier? Auf Santa Reyada? Mit Cris und … ihm? Das … war nicht möglich!
    »Hinter dem Stall war ein Baum. An einem der Äste hattet
ihr eine Schaukel für dich befestigt. Du wolltest immer ganz hoch schaukeln. So hoch, du wolltest fliegen. Einmal hast du losgelassen. Überall war Blut. Joaquín ist mit dir auf dem Arm den ganzen Weg bis zum Haus gerannt. Es war Hochsommer. Er war vollkommen außer sich. Und in der Küche machst du die Augen auf und erklärst, dass du es noch mal machen willst. Ich habe meinen Bruder noch nie jemanden so anbrüllen gehört. Du hast geheult, als hätte man dich auf einen Spieß gesteckt. Und noch mal, als du am nächsten Tag festgestellt hast, dass deine Schaukel nicht mehr da war. Du hast zwei Wochen kein Wort mit Joaquín gesprochen, weil du dachtest, er wäre es gewesen, dabei war es unser Vater …«
    Irgendwie war mir plötzlich schwindlig. »Hier?«, flüsterte ich schwach.
    Cris nickte. »Deine Mutter hat dich hergebracht. Ich weiß nicht mehr, warum. Ich war damals gerade sechs. Vielleicht war die Hermandad deinetwegen an sie herangetreten. Vielleicht wollte sie auch nur sicherstellen, dass du, wenn du schon eine Blutbraut werden solltest, unter dem Schutz einer der mächtigsten Familien der Hermandad stehst. Immerhin bist du eine Moreira. Und Vater hat damals schon nach Blutbräuten für mich und Joaquín gesucht. Du warst … vier, glaube ich. Du hast fürchterlich geweint, als sie dich einfach bei uns gelassen hat. Wir haben nie wieder etwas von ihr gehört. – Hat Joaquín es dir tatsächlich nicht gesagt?«
    »Hier?«, wiederholte ich nur. Meine Beine gaben unter mir nach. Ich hielt mich an dem nächsten Balken fest. Und kniete trotzdem auf dem harten Boden, noch bevor Cris nach mir greifen konnte.
    Hastig kauerte er sich vor mich. »Bist du in Ordnung?«

    In Ordnung? Ich blinzelte ihn an. »Hier?« Ich erinnerte mich nicht.
    »Ja. Du warst acht, als María dich von hier … weggeholt hat.« Seine Augen forschten in meinem Gesicht. »Du erinnerst dich wirklich gar nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Hier?«
    »Ja.«
    Ich konnte mich nicht erinnern. Da war nichts! Nichts! – Nichts außer …
    »Da sind Bilder …« Ich rieb mir die Stirn.
    Cris beugte sich näher zu mir.
    »Ein Baum. Er ist grün, hat Nadeln. Eine Tanne. Riesig. Ihre Spitze reicht bis fast an die Decke. Sie hängt voller Strohsterne …«
    »Ja, du hast schon Wochen vorher angefangen, die Dinger in allen nur erdenklichen Variationen zu basteln.«
    »… und Kugeln. Jede einzelne schimmert in allen Regenbogenfarben. « Ich zögerte. »Da ist Schnee auf den Zweigen … und … Eissterne. Kalt. Echt. – Aber … das kann nicht sein.«
    »Doch«, sagte er schnell und legte die Hand auf mein Bein. »Doch, das kann sein! – Im Jahr davor waren wir am Mammoth Mountain Ski fahren. Dort hast du zum ersten Mal Schnee gesehen. Und von da an wolltest du unbedingt echten Schnee und echtes Eis an deinem Weihnachtsbaum. Vater hat es verboten, aber du hast so lange bei Joaquín gebettelt, bis er dir Schnee und Eis an deinem Baum verschafft hat.«
    Er sollte …? Nein!
    Cris sprach schon weiter. Doch jetzt klangen seine Worte mit jedem gepresster. »In der Nacht ist María aufgetaucht. Vater war nicht da. Er war …

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