Blutbraut
anderes.
Oh, ich war es so leid!
»Wann wolltest du mir sagen, dass sie mir von deinem Blut gegeben haben?« Die Worte brachen einfach aus mir heraus. Schärfer, bitterer, als ich selbst erwartet hätte.
»Nicht. Jetzt.« Er wollte sich an mir vorbeidrängen. Ich vertrat ihm den Weg. Es war mir egal, dass er die Augen zu schmalen Schlitzen zusammenkniff, heftig die Luft einsog.
»Und wann wolltest du mir sagen, dass ich früher mal hier gelebt habe?«
Er stieß ein Zischen aus. »Nicht. Jetzt!« Machte einen Schritt zur Seite, wollte wieder an mir vorbei. Ich folgte seiner Bewegung. Hörte er überhaupt, was ich sagte?
»Wann dann? Habe ich denn kein …«
»Nicht! Jetzt!« Seine Nasenflügel bebten.
»Ich will wissen …«
Von einer Sekunde zur nächsten stand er direkt vor mir, war ich zwischen ihm und der Wand des Treppenabsatzes gefangen. Wie schon einmal. Schlagartig verweigerten meine Lungen den Dienst. Mit beiden Händen stemmte er sich rechts und links von meinem Kopf gegen das Gemälde. Der Rahmen drückte in meinen Rücken. Wie schon einmal. Er fletschte die Zähne, lehnte sich noch näher zu mir. Sein Atem war an meinem
Hals. Pfeifend schnappte ich nach Luft. »NICHT!! JETZT!!« Die Stoffstreifen schlugen gegen meine Wange. Ich zuckte zur Seite, stieß gegen seinen Unterarm, schrie, kauerte unvermittelt am Boden, krümmte mich zusammen, schlang die Arme um den Kopf, wimmerte. Und versuchte gleichzeitig zu atmen. Irgendwie. Irgendwie …
»Lucinda!« Cris! Cris beugte sich über mich. Ich saß in die Ecke gedrückt, rang japsend nach Luft. Er war fort.
»Cris!« Ich flüchtete in seine Arme. Eine Sekunde schien er verblüfft, dann legte er sie fester um mich.
»Was ist denn passiert? Ich höre dich schreien und dann stürzt Joaquín aus dem Haus und Richtung Garage davon. Als ich dich hier finde, liegst du am Boden und zitterst. Im ersten Moment dachte ich, er hat dir etwas angetan. Bist du in Ordnung? «
Ich konnte nichts anderes tun als mich an ihn klammern und immer wieder den Kopf schütteln.
»Wo ist er?«, würgte ich endlich zwischen meinen mühsamen Atemzügen hervor.
»Fort. Irgendwohin. Meinetwegen dorthin, wo der Pfeffer wächst.« Ich spürte, wie er die Schultern zuckte.
»Stofffetzen. Er hatte rote Stofffetzen in der Hand.«
»Stofffetzen? Du meinst Bandagen?« Cris zögerte. »Er hat nicht den Nissan genommen. Als ich hereingekommen bin, hab ich seinen Wagen auf der Auffahrt gehört. Der Motor klingt anders. « Es fühlte sich an, als würde Cris sich ein wenig zurücklehnen, um auf mich hinabzusehen. »Dann reagiert er sich wieder im Käfig ab. Das macht Sinn.«
Im Käfig. Ein Cage-Fight. Zwei Männer, Drahtgitter und keine Regeln. Er hatte die Bandagen schon in der Hand gehabt,
als er die Treppe heruntergekommen war. Er hatte in einen Käfig gewollt, noch bevor ich ihm den Weg verstellt hatte.
»Lucinda, ich …« Cris stockte, etwas in seiner Stimme hatte sich verändert; klang seltsam gepresst. Behutsam fasste er mich am Kinn und hob meinen Kopf, sah mich an, forschend, die Brauen zusammengezogen, nachdenklich, beinah … abschätzend. Für eine Sekunde wurden seine Lippen zu einem schmalen Strich. »… Joaquín war so wütend, ich … ich muss ihm hinterher, um … zu verhindern, dass ein Unglück geschieht«, sagte er dann irgendwie hilflos.
»Du meinst …«
»Ja. Vielleicht. – Ich weiß es nicht, aber im Augenblick …« Er gab mein Kinn frei, schüttelte den Kopf. »Aber ich kann dich auch nicht allein lassen.«
Ich starrte ihn an. Mein erster Gedanke war: ›Er vertraut mir nicht. Er denkt, dass ich wieder davonlaufe, wenn niemand hier bei mir ist.‹ Und der zweite: ›Wenn er mich mitnimmt, komme ich wieder hinaus aus diesem Bannkreis, der Santa Reyada umgibt.‹
Cris sah mir geradezu beschwörend in die Augen; fast so, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Joaquín bringt mich um, wenn ich dich hierlasse und du nicht mehr da bist, wenn er zurückkommt. Aber er bringt mich genauso um, wenn ich dich mitnehme und du läufst dann wieder davon …« Er schob die Hand in meinen Nacken. »Ich muss Joaquín suchen und dafür sorgen, dass er kein Unheil anrichtet. – Versprichst du mir, dass du nicht wieder versuchst, davonzulaufen, wenn ich dich mitnehme? Joaquín würde mich umbringen, wenn ich dich verliere …«
Wenn ich Nein sagte, würde er dann hierbleiben?
Und wenn er tatsächlich hierblieb und irgendein Unschuldiger kam deshalb zu
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