Blutbuchen - Ein Altmarkkrimi (Judith Brunners erster Fall) (German Edition)
gesessen. Da Heitmann nicht zum Bahnsteig gegangen ist, was man wahrscheinlich so fünf Minuten vor Zugankunft täte, würde ich von einer Zeit vor 11:40 Uhr ausgehen.«
»So viel früher wird er nicht da gewesen sein, dann wäre sein Wagen doch jemandem aufgefallen.«
»Also nehmen wir mal an, er war halb zwölf dort. Dann blieben zehn Minuten für die Tat. Ausreichend Zeit.«
»Vielleicht hatte er aber auch noch etwas anderes in Gardelegen vor und hielt sich schon länger dort auf.«
Es entstand eine kleine Pause und Judith wusste nicht, wie sie den intensiven Blick aus Dreyers dunkelbraunen Augen deuten sollte.
Der fuhr fort: »Wissen Sie, es ist irgendwie ... irreal. Ich kannte ihn, lange. Alle hier kannten ihn. Und jetzt ist er ermordet worden. Ich bin hier die Polizei und trage die Verantwortung. Alle werden von mir – Verzeihung, und von Ihnen – erwarten, dass sein Mörder gefasst wird. Ich kenne mich damit aber nicht aus und das macht mir Sorgen. Ich setze voll auf Sie.«
Judith Brunner war einen Moment überrascht, als sie diese Sicht der Dinge hörte. Immerhin leitete sie diese Ermittlungen und war nicht zu Dreyers Unterstützung hier. Das war ihm hoffentlich klar. Sie hatte keine Lust auf Auseinandersetzungen. Und seine guten Beziehungen zur Kreisbehörde ... Sie sah ihren Kollegen eindringlich an. »Und ich werde bei den Ermittlungen Ihre volle Unterstützung brauchen. Wir müssen schnell arbeiten, denn mit diesem einen Mord wird es unter Umständen nicht getan sein.«
»Wie bitte?« Walter Dreyer setzte sich auf. Judith Brunner sah zwar müde, aber voll konzentriert aus, und hatte klar von der Möglichkeit weiterer Morde gesprochen. »Was meinen Sie? Hier? In den letzten Jahren gab es in Waldau keine ungewöhnlichen Todesfälle. Die Leute kennen das nur aus dem Fernsehen!«
»Wissen Sie, das Beängstigende ist, dass wir mehr oder weniger deutlich auf einen Mord hingewiesen wurden. Eventuell haben wir die Angelegenheit auch unterschätzt. Ein Mord ist geschehen, ohne dass wir rechtzeitig etwas hätten unternehmen können.«
Dreyer begriff nicht viel, er spürte nur, dass es ernst war. So erklärte sich auch das rasche Erscheinen der Bezirksbehörde vor Ort. Wie angenehm ihm diese Frau auch schien, hatte er sich schon gefragt, wieso sie derart schnell an den Tatort gelangt war. »Erzählen Sie mir, was los ist«, forderte er sie auf.
Judith Brunner rekapitulierte die Geschichte von den anonymen Briefen, den Warnungen, und erinnerte ihn an die kürzliche Suchaktion in Lindenbreite.
Als sie fertig war, wusste Walter nicht recht, was er damit anfangen sollte. Blutbuchen. Schatzsucher. Bleiche Knochen. Irgendwie absurd! So eine krude Geschichte hatte er nicht erwartet. »Und daraufhin hat man Sie, immerhin eine Hauptkommissarin, losgeschickt?«
Judith hatte nicht vor, auf diese Bemerkung näher einzugehen. »Die Mordkommission wollte zunächst nicht offiziell ermitteln. Schließlich war bisher nichts passiert. Immerhin entschloss man sich, mich loszuschicken, damit ich mich umsehen kann. Nun, ich brauchte ja nicht lange zu suchen.« Sie schloss die Augen und seufzte. »Wer weiß, was noch passiert.«
»Wo ist Heitmann jetzt?«
»Im Kreiskrankenhaus. Dort gibt es jemanden, der die Obduktion machen kann, ein wirklich guter Mann, ein fähiger Spezialist, kultiviert und angenehm.« Judith Brunner musste aufpassen, nicht ins Schwärmen zu geraten.
Dreyer fragte sich angesichts der Sympathie in ihrer Stimme, ob sie vielleicht privat mit ihm …?
Als könne sie Gedanken lesen, fuhr Judith fort: »Ich kenne ihn von früheren gemeinsamen Ermittlungen. Jetzt arbeitet er leider nur noch gelegentlich für die Polizei.«
Rasch wechselte Dreyer das Thema. »Was hat denn damals die Auswertung der Spuren ergeben? Sie sagten doch, es seien Gegenstände in Lindenbreite eingesammelt worden.«
»Keine Ahnung. Das Zeug muss noch in der Kreisbehörde liegen. In meinen Unterlagen befand sich zumindest kein Bericht.«
»Das sind keine schönen Aussichten. Wissen Sie, Lindenbreite ist nach dem Krieg nur noch einige Jahre vom Gut aus bewirtschaftet worden. Seitdem verfällt es. Alte Obstbäume wachsen dort noch, oder Beerensträucher. Die Gebäude aber brechen langsam zusammen und es gibt kaum Wanderer, die sich dorthin verirren, da der Weg am Vorwerk endet. Dahinter beginnt der Wald, der zudem ziemlich dicht ist. Mir ist hier in meiner langen Dienstzeit noch nie etwas zu Ohren gekommen, das zu Ihrer Geschichte
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