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Bluteis: Thriller (German Edition)

Bluteis: Thriller (German Edition)

Titel: Bluteis: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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wieder dieses Gefühl, einfach nichts für Sandra tun zu können und – noch schlimmer – damals auf dem See versagt zu haben.
    Damals auf dem See … Es war doch erst vier Wochen her, dass das Eis des St. Moritzersees in Stücke zerbrochen war und eine ganze Welt dazu. Doch es fühlte sich an, als wäre das alles Monate, sogar Jahre her. Hätte er nicht die vielen Fotos von Sandra auf dem Rechner gehabt, er hätte vielleicht schon gar nicht mehr gewusst, wie sie aussah. Erinnerungen verblassen so schnell, dachte er. Wie fühlte sich ihre nackte Haut denn an? Welche Geräusche machte sie? Wenn sie schlief? Wenn sie sich auf einer anstrengenden Skitour befand? Er wusste schon so viel nicht mehr. Oder nur noch vage.
    Wieder und wieder blätterte er ihre Fotos auf seinem Rechner von vorn nach hinten. Sandra im Sommer, Sandra im Winter. Sandra im örtlichen Freibad in Garmisch-Partenkirchen, dem Kainzenbad. Sandra am Ufer der Isar, Sandra auf der Alpspitze. Sandra im Wettkampfdress im Dammkar. Sandra auf einem Siegerpodest. Sandra auf einer Party. Gottlob ging das Internet wieder. Er klickte sich durch die Mediathek des Bayerischen Fernsehens und sah sich einen Bericht der Lokalsportsendung über Sandra an. Da konnte er ihre Stimme hören. Doch das war die Stimme der offiziellen Sandra, der Medien-Sandra, nicht die seiner Sandra, nicht die Stimme, die ihn morgens weckte, die ihn zur Eile im Bad drängte, die manchmal unleidlich bis zur Unverschämtheit war, wenn sie wollte, dass er sie in Ruhe auf dem Sofa unter der Fleecedecke lümmeln ließ. Diese Stimme vermisste er. Diese Stimme hatte er nie aufgezeichnet. Er nahm sich vor, das zu tun, wenn er sie wiederhatte.
    Doch dazu musste er sie finden. Sie hatten alle relevanten Höhlen durchsucht. Eine Menge Höhlen der Schweiz kamen nicht in Betracht. Zu klein, zu viel Wasser, auch im Winter zu gut besucht, zu nahe an Siedlungen. Dort würde niemand sechs Leute verstecken können. Diese Höhlen hatten sie zu Beginn ausgespart – um sie jetzt doch noch zu durchsuchen, da sie in den augenscheinlich geeigneten Höhlen nichts entdeckt hatten.
    Er musste sich von den Bildern seiner Sandra losreißen und auf den Webseiten der unterschiedlichsten Höhlenvereine Pläne dieser eigentlich ungeeigneten Höhlen suchen. Er googelte bereits seit zwei Stunden und hatte eine veritable Liste von Löchern auf den Block geschrieben, der neben dem Laptop lag. Da stieß er auf einen Beitrag im Video-Portal des Schweizer Fernsehens über eine Gletscherhöhle. Er wollte schon weiterklicken, denn Gletscherhöhlen hatten sie ganz zu Anfang abgesucht. In der Schweiz gab es riesige Gletscherhöhlen, die beeindruckendsten und größten davon waren sogar für Touristen zugänglich, so dass dort niemand seine Geiseln verstecken würde. Doch da stand ein Wort in der Überschrift des Beitrags, das ihn elektrisierte: das Wort »neu«.
    »Neue Gletscherhöhle im Roseggletscher« war der Videobeitrag betitelt. Er klickte ihn an und sah eine junge Wissenschaftlerin, eine Glaziologin, die auf Schneeschuhen und mit einem schweren Rucksack auf den Schultern in einem riesigen Dom aus Eis stand und auf Schweizerdeutsch in die Kamera sagte: »Gewaltig. Sie ist seit dem letzten Jahr auf das Doppelte angewachsen.«
    Thien sah sich den Beitrag noch einmal an. Dann griff er zum Telefon. Das musste er Markus Denninger zeigen.
    Freitag, 22. März, 4 Uhr 45
Im Roseggletscher
    Endlich ging es los. Natalija konnte es nicht mehr erwarten. Eigentlich schon, seit sie vor zwei Wochen mit dem Training angefangen hatten. Sie hatte das Gefühl, das alles bereits einmal getan zu haben. Auf den Tourenski fühlte sie sich so sicher, als hätte sie ihr ganzes Leben lang nichts anderes gemacht, als darauf über den Schnee zu gleiten. Dabei hatte Kisi ihr doch gesagt, dass sie nie im Leben auf Ski gestanden hatte. Dennoch fühlte sie sich auf den nächtlichen Touren, die sie unternahmen, wie ein Fisch, der vom Trockenen zurück ins Wasser geworfen worden war.
    Vielen der anderen ging es nicht so gut. Zwar waren die meisten von ihnen körperlich in guter Verfassung, aber richtige Skiläufer waren sie alle nicht. Besonders der Chinese Xi und der Araber Khalid hatten anfangs ihre Probleme. Der Inder Ranghav allerdings machte sich trotz seiner untersetzten Figur ganz gut. Die wundersame Lernmethode, die Kisi und ihr Helfer nicht nur in Sachen Geopolitik anwandten, sondern auch, um ihnen nachts die Bewegungsabläufe des Sports

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