Bluteis: Thriller (German Edition)
Meetings immer häufiger und immer intensiver genau darüber gesprochen worden. Schließlich hatten die größten New Yorker Familien und Banken (die zumeist identisch waren) die Treffen dazu genutzt, ihre globalen Strategien den von ihnen finanzierten Großunternehmen einzuimpfen. Dass dabei die hohe Politik mit am Tisch saß, sprach Bände über die Verflechtungen zwischen Geld und Macht, die sich in den Jahrzehnten entwickelt hatte.
Mittlerweile wurden die Osterbacher-Jahrestreffen genauso geschützt wie die G20-Treffen. Die Sicherheitsvorkehrungen ließen sich die Osterbacher selbstredend von den Staaten bezahlen, die die Ehre hatten, Schauplatz ihrer Treffen zu sein. Das Osterbach-Tal bot dafür ideale Voraussetzungen. Die wenigen Forst- und Wanderwege rund um das Hotel wurden wie die Privatstraße von mobilen Einheiten des Bundesgrenzschutzes abgeriegelt. Auf den Höhenrücken und Hügeln rund um das Hotel waren vor Wochen nachts Flugabwehrgeschütze der Bundeswehr aufgestellt worden. Die nächste Kaserne der Gebirgsjäger lag nur wenige Kilometer entfernt. Die Bevölkerung war mit dem Hinweis, es müsse eine integrierte Antiterrorübung von Polizei, Grenzschutz und Bundeswehr abgehalten werden, aus dem sonst gut besuchten Naherholungsgebiet ausgesperrt worden. Vor dem Hintergrund des Anschlages auf St. Moritz rebellierte selbst die sonst so freiheitsliebende bayerische Bevölkerung nicht gegen diese Maßnahme.
Das Hotel Schloss Osterbach lag auf einer Anhöhe rechts am Ende des Tals. Die bewegte Geschichte des Fünf-Sterne-Hauses umfasste Beschlagnahmungen durch die US-Armee nach dem Zweiten Weltkrieg, Wiederaufbau nach einem verheerenden Brand und die Umgestaltung zu einem neumodischen Luxury Spa and Cultural Hideaway, in das sich Musiker, Schriftsteller, aber gern auch mal ehemalige deutsche Außenminister für ein Wochenende zurückzogen, an dem man unter sich war und den Bademantel den ganzen Tag nicht ausziehen musste. Abends traf man sich in einem der Säle zu Kammermusik und Literaturlesungen. Das von Grünspan überzogene spitze Kupferdach des Turms war als Symbol für die Erfrischung von Körper und Geist durch angeregte Diskussion und entspannendes Bad im ganzen Land bekannt.
Sonndobler und Käpplis Gepäck wurde direkt aus der Gulfstream in die S-Klasse verladen. So lange blieben die beiden noch auf den hellen Ledersesseln im Flugzeug sitzen.
Käppli hatte die vergangenen zwei Wochen nach ihrer Rückkehr aus New York vor allem damit zugebracht, die Termine zu koordinieren, die ihr Chef ab der Ankunft im Hotel Schloss Osterbach im Viertelstundentakt zu absolvieren hatte. Es ging darum, möglichst viele der Mitglieder von seiner anstehenden Präsidentschaft persönlich in Kenntnis zu setzen. Jeder wusste zwar, dass die Strippen in den Häusern gezogen wurden, die Sonndobler vor vierzehn Tagen in und um Manhattan besucht hatte. Doch jedem Osterbacher musste das Gefühl vermittelt werden, eine Entscheidung, die so weitreichend war wie die über die Person des neuen Vorsitzenden, auch selbst mitgetragen zu haben. Auch wenn es keine offizielle Wahl gab und der Nachfolger von Lex Kayser am Samstagabend am Höhepunkt des Treffens einfach von den Vertretern des Harten Kerns verkündet werden würde, war die Einhaltung dieser Informationspolitik doch mehr als reine Höflichkeit. Es wäre dumm gewesen zu riskieren, dass sich scheinbar wichtige Osterbacher wie die deutsche Kanzlerin oder der Vorstand eines französischen Chemieriesen mitten in der Auguration womöglich dem Kandidaten gegenüber ablehnend geäußert hätten. So etwas konnte durchaus vorkommen. Die Osterbacher nahmen ihren Grundsatz, unter sich stets ohne Scheu das offene Wort zu führen, durchaus ernst. Daher musste Sonndobler die wichtigsten vierzig bis fünfzig Mitglieder am Donnerstag und Freitag in einem Nebenraum oder auf einem kurzen Spaziergang in den Gartenanlagen des Hotels über seine bevorstehende Ernennung in Kenntnis setzen.
Annemarie Käppli hatte auch diese Aufgabe mit der ihr eigenen Akribie und Zuverlässigkeit erledigt. Sie überreichte Sonndobler einen Umschlag, in dem sein Ablaufplan auf die Minute genau festgelegt war. Sonndobler zog die drei Seiten DIN-A4-Papier heraus und überflog sie.
»Oh, mein Gott, das werden zwanzig bis dreißig Espressi und eine unzählige Menge von Petit Fours pro Tag«, sagte er lächelnd. Er war mit der Arbeit seiner Vertrauten hoch zufrieden.
»Wenn du nicht so lange tagen müsstest jede
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