Bluteis: Thriller (German Edition)
Sonndobler der neue Boss zu werden, versteckte seine Enttäuschung hinter einem Lächeln, hinter lauten Bravo-Rufen, hinter dem Jubel.
Drei endlose Minuten toste der Applaus. Sonndobler versuchte, mit seinen Händen die Menge zu beschwichtigen. Als es endlich ruhiger wurde und die Leute sich wieder setzten, begann er mit seiner Rede, die er auswendig gelernt hatte.
»Danke. Vielen herzlichen Dank! Danke Ihnen allen, sehr verehrte Freunde. Ich habe natürlich keine Rede vorbereitet, denn wer rechnet schon mit so etwas?« Lachen erfüllte den Saal. »Nein, im Ernst, ich habe mit dem viel zu früh verstorbenen Lex Kayser über gewisse Möglichkeiten gesprochen. Aber dass Sie wirklich mich … Ich bedanke mich sehr herzlich bei Ihnen allen, die mich unterstützt haben.« Dabei richtete er den Blick auf die Tische, an denen die Banker und Familien aus New York saßen. Er machte eine Pause, bevor er weitersprach. »Wir stehen vor riesigen Herausforderungen. Unsere Volkswirtschaften sind von der schlimmsten Finanzkrise bedroht, die es jemals auf dieser Welt gegeben hat. Wir müssen unser Bankenwesen sicher machen, sicherer, als es derzeit ist, damit so etwas nie wieder passieren kann.« Ein zustimmendes Raunen und Nicken ging durch den Saal. Die anwesenden Bankiers und Hedgefondsmanager waren sich bewusst darüber, dass sie an der Krise schuld waren. »Wir haben aber noch viel größere Aufgaben zu bewältigen. Es ist kein Geheimnis, dass wir den Wohlstand unserer Länder nur dann aufrechterhalten können, wenn Energie und andere Ressourcen so eingesetzt werden, dass sie auch noch für unsere Kinder und Kindeskinder reichen. Dafür werden wir Strategien entwickeln müssen, die auch einen weiteren Anstieg der Bevölkerung auf diesem Planeten ins Kalkül zieht. Wir sind bereit, uns diesen Herausforderungen zu stellen. Und wir warten nicht, bis uns die Probleme über den Kopf wachsen. Darum werden wir gleich morgen damit anfangen, die wichtigsten Initiativen zur nachhaltigen Entwicklung der Menschheit zu diskutieren. Unser Programm sieht vor, dass sich morgen Vormittag der Harte Kern trifft, um die Themenfelder festzulegen, die in den zwei darauffolgenden Tagen gesprochen werden. Ich habe eine kleine Überraschung für die Mitglieder des Harten Kerns: Wir werden einen kleinen Ausflug machen, um unsere Kick-off-Sitzung an einem besonderen Ort abzuhalten. Ich erlaube mir, Sie auf eine kurze Reise einzuladen, und würde mich sehr freuen, wenn Sie meiner Einladung folgen würden. Die Hubschrauber stehen um acht Uhr vor dem Hotel bereit. Wir sind um vierzehn Uhr zurück. Bitte nehmen Sie einen warmen Mantel und festes Schuhwerk mit.« Bei diesen Worten ging wieder ein Raunen durch die Menge. Das hatte es noch nie gegeben. Man hatte sich wohl unter dem neuen Ober-Osterbacher auf einige Überraschungen gefasst zu machen. »Und nun bleibt mir nur, Ihnen einen schönen Abend zu wünschen. Ich freue mich auf die Gespräche mit Ihnen. Herzlichen Dank.«
Sonndobler wartete, bis der erneut aufbrandende Applaus verklungen war, und ging als anderer Mensch von der Bühne, als der er sie betreten hatte. Die Leute an seinem Tisch beglückwünschten ihn mit Handschlag.
Dann setzte das Kammerorchester wieder ein.
Sonntag, 7. April, 7 Uhr 55
Hotel Schloss Osterbach
Die AS 332 Super Puma, die in den Farben der Caisse Suisse lackiert war, stand zwischen den wenigen Schneeresten auf der Wiese vor dem Hotel. Ihre Ankunft kurz nach sieben Uhr hatte die meisten Teilnehmer der Osterbacher-Tagung aus dem Schlaf gerissen, denn die beiden Wellentriebwerke mit ihren 2100 PS versteckten ihre Kraft nicht hinter vorgehaltener Hand. Mittlerweile hatten die Hotelangestellten aus Paletten einen Laufsteg über die Wiese gelegt und darauf einen roten Teppich angebracht, so dass die zwölf Herren des Harten Kerns sicheren und trockenen Fußes zum Reisehelikopter gelangen konnten. Sie versammelten sich gerade am Hotelausgang, um sich gemeinsam der Maschine zu nähern. Als einzige Frau durfte Annemarie Käppli den Tross begleiten. Jemand musste schließlich darüber Protokoll führen, was die zwölf Mächtigen besprachen und entschieden.
Albert Sonndobler genoss seine neue Rolle. Er hatte doch noch bis halb drei an der Bar gestanden, sich mit Alkohol sehr stark zurückgehalten und den Sex mit seiner Assistentin auf den frühen Morgen verschoben. Nach nur vier Stunden Schlaf war er um halb sechs aufgestanden, hatte sich durch die Verbindungstür in Käpplis
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