Bluteis: Thriller (German Edition)
Zimmer geschlichen und sie geweckt, indem er mit dem Kopf unter ihre Bettdecke und mit der Zunge zwischen ihre Beine geglitten war. Der Rest war eine schnelle Nummer geworden, nach der sich Sonndobler in das SPA-Haus des Hotels zurückgezogen hatte, um im Dampfbad den Tag entspannt angehen zu lassen. Erst um Viertel vor sieben war er in seine Suite zurückgekehrt, hatte sich in Windeseile angezogen und im Vorbeigehen vom Frühstücksbuffet eine Breze und einen Apfel mitgenommen, den er aß, während er vor dem Hotel auf den Harten Kern gewartet hatte. Auch wenn jeder der Kollegen Unternehmen mit Milliardenumsätzen befehligte, wollte Sonndobler keine Verspätungen hinnehmen. Jeder sollte von Anfang an wissen, wer ab heute die Hosen bei den Osterbachern anhatte.
Zwei Minuten vor acht setzte er sich wortlos in Bewegung. Käppli ging hinter den zwölf Männern und bildete das Schlusslicht, so als wären die Topmanager eine Kindergartengruppe, bei der sogar auf den zweihundert Metern Fußweg den Hügel hinunter, auf dem das Hotel stand, Gefahr bestand, dass ein Schützling verlustig gehen könnte.
Sonndobler ließ seinen elf Kollegen an der Schiebetür des Hubschraubers den Vortritt. Neben ihm stand der Pilot.
»Guten Morgen, Gil«, begrüßte Sonndobler ihn herzlich. »Sie fliegen wohl alles, was Propeller oder Düsen hat.«
Der Luftkapitän in Diensten der Caisse Suisse beantwortete das joviale Willkommen seines Chefs nur mit einem militärischen Gruß und einem trockenen »Guten Morgen, Herr Dr. Sonndobler«. Als schließlich alle Passagiere eingestiegen waren, prüfte Gil, ob sie sich auch angeschnallt hatten, dann schob er die Tür zu, setzte sich ins Cockpit neben seinen Kopiloten und ließ die Turbinen an.
Alle dreizehn Passagiere der geräumigen Maschine hatten mittlerweile Kopfhörer auf, und Sonndobler richtete über die Intercom-Verbindung das Wort an die anderen. »Liebe Kollegen, wir werden in knapp anderthalb Stunden Flugzeit auf dem Dach Europas landen. Ich dachte mir, es ist eine schöne Gelegenheit – noch dazu bei diesem strahlenden Wetter –, mit Ihnen auf den Mont Blanc zu fliegen!«
Die Männer schauten sich und dann Sonndobler erstaunt an.
»Sie haben richtig verstanden. Wir werden die ersten Gäste einer Einrichtung, die nach uns viele Tausende von Bergsteigern aufsuchen werden, um von dort ihren Gipfelangriff auf den höchsten Berg der Alpen anzugehen. Das Refuge du Goûter wird erst im Juni offiziell in Betrieb genommen.«
»Das was?«, fragten einige der Ausflugsgäste in ihre Mikrofone.
»Um ganz ehrlich zu sein, meine Assistentin Frau Käppli weiß über unser Ziel am besten Bescheid. Und es war auch ihre Idee, dass wir unser Kick-off-Meeting dort oben abhalten. Bitte, Frau Käppli, klären Sie die Herrschaften auf.«
Annemarie Käppli zog eine schmale Schiebetür auf, die in die Wand zwischen Fahrgastbereich und Cockpit eingelassen war. Ein Flatscreen kam zum Vorschein, und Käppli schaltete ihn mit dem iPad an, das auf ihrem Schoß lag. Auf dem Flatscreen erschien ein kugelförmiger Bau, der wie eine Kulisse aus einem Science-Fiction-Film aussah. Das Gebäude stand auf einer Kante, und ringsherum lag Schnee. »Sehr geehrte Herren, es ist Herrn Dr. Sonndobler und mir eine Freude, Sie als Premierengäste auf das neu erbaute Refuge du Goûter einladen zu dürfen. Sie sind die ersten Teilnehmer einer internationalen Konferenz, die den außergewöhnlichen Ort für eine Besprechung nutzt. Die Hütte des Französischen Alpenvereins liegt 3835 Metern über dem Meeresspiegel auf der Aiguille du Goûter, einem dem Mont Blanc in Richtung Westen vorgelagerten Berg. Das Gebäude besteht aus einer Außenhaut aus Inox-Stahl und einem Traggerüst aus heimischen Hölzern der Region St. Gervais. Hundertzwanzig Bergsteigern wird die höchste Unterkunft der Alpen Platz geben. Der Neubau der Hütte wurde erforderlich, da mittlerweile über dreißigtausend Menschen pro Jahr versuchen, den Gipfel des Mont Blanc zu erklimmen. Die alte Goûter-Hütte, ein Bau aus den 1960er Jahren, platzte aus allen Nähten. Die sanitären Einrichtungen und hygienischen Zustände waren erbärmlich, und in der Hochsaison waren sogar Bänke und Tische der Gasträume mit übernachtenden Bergsteigern belegt. Davon ist im Neubau nichts mehr zu spüren. Sie sehen die in hellem Holz gefertigte Inneneinrichtung, die großzügigen Wascheinrichtungen und auf dem nächsten Bild die Zimmer, deren Fenster atemberaubende Blicke auf
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