Bluteis: Thriller (German Edition)
diesem Mann zusammen gewesen, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte. Oder er von ihr. Oder sie beide sich voneinander. Er beruhigte sich gleich wieder, denn immerhin war Sandra ja nach Markus’ scheinbarem Tod wieder mit ihm zusammengekommen. Und war jetzt schwanger von ihm. Außerdem hatte Eifersucht zu diesem Moment wirklich nichts in seinen Gefühlen zu suchen, schalt er sich. Er musste sich zusammenreißen. Jetzt ging es darum, Sandra dort oben rauszuhauen.
Mit einem »Gung-ho«, dem Schlachtruf der Vietnam-Kämpfer, stimmten sie sich auf die Erstürmung ein, dann kletterten sie auf ihren Steigeisen im steilen Hang nach oben.
Nach knapp dreißig Minuten hatten sie ihre Position unter der Stahlkonstruktion, die als Fundament das Gebäude auf dem Fels hielt, erreicht. Denninger wollte gerade den Mann losschicken, der die Tür aufsprengen sollte. Da hörten sie über den Gipfel des Mont Blanc einen Hubschrauber zu ihnen herüberdonnern. Denninger hielt seinen Kämpfer zurück. Das Wummern der Rotoren näherte sich ihnen. Schließlich schwebte der Helikopter direkt über dem Refuge und sank auf den Landeplatz neben dem Gebäude herab.
Denninger wagte sich aus der Deckung und beobachtete, wie aus dem Rumpf des Drehflüglers Männer in langen Mänteln stiegen und eine Frau in einem Kostüm die Tür zum Refuge aufschloss.
Sonntag, 7. April, 9 Uhr 35
Refuge du Goûter
Der Harte Kern der Osterbacher stand verloren im Speisesaal des Refuge du Goûter.
»Ich dachte, wir werden hier erwartet«, sagte Albert Sonndobler ärgerlich zu seiner Assistentin, als sich keine Hostessen in Hosenanzügen, die den Männern die Mäntel abnahmen, und keine Bedienungen in kurzen schwarzen Röcklein und weißen Blusen blicken ließen, die Kaffee und Petit Fours reichten.
»Wir werden erwartet, keine Sorge«, entgegnete Annemarie Käppli ein wenig zu schnippisch.
Tatsächlich öffnete sich die Schiebetür am hinteren Ende des Raums. Eine schwarzhäutige Frau und ein arabisch aussehender Mann traten ein.
Und beide ließen sie je eine Maschinenpistole lässig von ihrer Schulter baumeln.
»Super Gag, Albert«, sagte der deutsche Automobilmanager, der eine Zeit in Amerika verbracht und dort einen Sinn für außergewöhnliche Inszenierungen entwickelt hatte. »Jetzt werden sie uns gleich auf diese schönen Naturholztische binden und foltern.«
Sonndobler antwortete nicht. Er starrte nur Annemarie Käppli an.
»Willkommen auf dem Dach Europas«, sagte die schwarze Frau. »Mein Name ist Kisi.«
Die Männer erstarrten. Kisi. Ist das nicht der Name der Frau, von der ihnen Lex Kayser im Februar in Davos erzählt hatte? Die Frau, deren Netzwerk Anschläge auf ihre Unternehmen plante und die Wirtschaftsordnung der Industrienationen zerstören wollte. Die, so mutmaßten einige von ihnen, ohne jemals darüber gesprochen zu haben, wahrscheinlich hinter dem Anschlag in St. Moritz steckte. Oder dem Hoax mit der angeblichen Bombe in Genf. Oder beidem.
Einige wirbelten herum und wollten schnell zurück zum Hubschrauber. Doch durch den Gang, durch den sie gekommen waren, schritten zwei Männer auf sie zu, die ebenfalls mit Maschinenpistolen bewaffnet waren.
»Gil!«, schrie Sonndobler entsetzt, als er sah, wer ihnen da den Weg abschnitt.
»Und mein Name ist Abdul«, sagte der Mann, der neben Kisi stand. »Ich möchte Ihnen den Zweck und die Regeln unseres Zusammentreffens kurz erläutern. Beides ist sehr einfach und schnell zu verstehen. Wir haben Sie hergeholt, um Ihre Einstellungen zu manchen Dingen nachhaltig zu ändern. Und es gibt nur eine Regel: Wenn Sie nicht tun, was wir sagen, bringen wir Sie um.«
»Und noch etwas.« Annemarie Käppli stand plötzlich neben Kisi und zog einen handlichen Revolver aus ihrer Handtasche. »Ab sofort müssen Sie sich Ihren Kaffee selbst machen.«
»Annemarie!« Sonndobler japste nach Luft. »Du hast das alles arrangiert?«
»Wer sonst, mein Lieber?«
»Du gehörst zu denen?«
»Länger, als du dir vorstellen kannst, Albert.«
»Aber …«
»… aber der Sex mit dir, deine Geschenke, der Job, den ich seit vier Jahren mache? Nenn es meinen Gang durch die Institutionen, Albert. Wir alle müssen Opfer bringen, um dorthin zu gelangen, wo wir hinwollen. Ist es nicht so?«
»Sind Sie denn alle wahnsinnig geworden?«, schrie der deutsche Automann.
»Nicht viel wahnsinniger als Sie«, antwortete Kisi nur.
»Wir sind die wichtigsten Entscheidungsträger der Welt!«, kreischte der Manager hysterisch.
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