Bluteis: Thriller (German Edition)
Veteranin der Skibergsteigerinnen.
»Ist es schlimm, dass ich nicht mitkann?«, fragte Thien.
»Ach woher. Ich habe da eh keine Zeit für irgendwas anderes. Wenn ich nicht den Berg hinaufrenn, dann hab ich Pressetermine mit Sponsoren und so weiter. Mach du nur deine Sachen hier anständig.«
»Es ist ja nur am Sonntag. Da muss ich beim Pferderennen auf dem See dabei sein. Wenn ich in der Nacht losfahre, könnte ich am Montag bei dir sein.«
»Quatsch. Was sollst du da nachts durch die Gegend rasen? Bleib du schön hier, und ich komme am Mittwoch zurück. Und dann am Wochenende drauf ist doch erst das allerwichtigste Event, das machen wir dann zu zweit.«
»Da brauch ich dich dann wirklich. Am Siebzehnten ist das Finale der drei White-Turf-Sonntage. Trabrennen, Galopp, Skijöring. Da kommt alles, was Rang und Namen hat, mit dem Privatjet reingesegelt. Du musst dich um die Promis kümmern in den VIP-Zelten, und ich muss draußen auf dem See die Action knipsen. Anders geht’s gar nicht. Bin ich froh, dass du an dem Tag keinen Wettbewerb hast.«
»Für dich würde ich den Wettbewerb auch bleiben lassen.«
»So weit kommt’s noch. Genau das ist ja das, was ich nicht will. Dass dieser St.-Moritz-Job deine Sport-Karriere in irgendeiner Weise beeinträchtigt.«
»Thien, irgendwann ist’s eh vorbei. Wenn ich diesmal nicht auf dem Stockerl steh, weiß ich eh nicht, ob ich das noch länger mitmach. Man wird ja nicht jünger. Und außerdem …« Sandra machte eine bedeutungsvolle Pause und begann an der Kerze herumzupulen, die zwischen ihnen stand.
»Außerdem?«, fragte Thien vorsichtig nach.
»Außerdem muss ich dir was sagen. Ich hab …« Sollte sie, sollte sie nicht? Nein, es gab zu viele Geheimnisse. Und eines, das viel wichtiger war als diese Zugspitzgeschichte von vor einem Jahr. »Außerdem bin … bin ich vielleicht … also sogar wahrscheinlich … schwanger. Glaub ich. So, jetzt weißt du’s.«
Thien hatte sich an den Spaghetti verschluckt. Als er wieder Luft bekam, stieß er hervor: »Du bist was? Und das sagst du so nebenbei?«
»Ja, weil ich noch nicht ganz sicher bin … Aber drei Wochen drüber … Ist wahrscheinlich keine Trainingsnebenwirkung. Aber … wer weiß?«
»Man kann da so Tests kaufen in der Apotheke.«
»Ich wollte es dir erst nach der WM sagen.« Sie fingerte wieder an der Kerze herum. »Und ich wollte es auch erst nach der WM wissen, ganz ehrlich.«
»Versteh ich.«
Sandra ließ die Kerze und schlug mit der Hand auf den Tisch. »Sag mal, freust du dich überhaupt nicht?«
»Ich weiß ja noch nicht einmal, ob ich mich freuen soll. Also, ich meine: Wenn es wahr ist, freu ich mich natürlich. Und wie. Ich freue mich ja schon jetzt. Mit meinem Job kann ich dich oder euch ja auch ernähren. Zumindest dieses Jahr.«
»Keine Angst, das kann ich auch. Mach dir da keine Sorgen. Ganz arm bin ich nicht.« Sandra lächelte. Wieder eine Gelegenheit, Thien zu erzählen, woher sie ihr Geld hatte.
»Stimmt. Dein Opa hat ja dieses Grundstück in Mittenwald.«
Die Gelegenheit verstrich. Das Baby war wichtiger als die Vergangenheit, fand Sandra.
»Reden wir jetzt über unser Baby oder übers Sachl?«, wurde sie wieder ernst.
»Na ja, wir müssten schon erst einmal wissen, ob es unser Baby da drin gibt, findest du nicht?« Er deutete auf ihren Bauch. »Halb schwanger geht halt nicht. Wir fahren jetzt zur Apotheke«, entschied Thien. Er winkte nach der Rechnung und stand von seinem Stuhl auf.
Sonntag, 17. Februar, 11 Uhr 13
St. Moritz, St. Moritzersee
Sandra!, schoss es Thien durch den Kopf. Das war sein einziger Gedanke. Er konnte nicht fassen, was um ihn herum geschah. Diese vielen Explosionen, die das Eis des Sees in unendlich viele Schollen rissen. Die Geysire, die sich aus der Mitte des Sees und an den beiden Ecken am gegenüberliegenden Ufer aufgetürmt hatten. Die Wellen, die von dort auf ihn zuliefen und das Eis auch dort brachen, wo es die Explosionen überstanden hatte. Die Pferde, die mitsamt ihren Fahrern direkt vor ihm untergetaucht waren.
Gerade in dem Moment, als er das Feld durch das Teleobjektiv auf die Haupttribüne am anderen Ende des Sees zurasen gesehen und eine schöne Rückansicht der Pferde, der hinter ihnen hergezogenen Fahrer, der von den Hufen in die Luft geworfenen Schneeklumpen fokussiert hatte, hatte es geknallt. In einer Serie. Wie ein Knallfrosch. Ein riesiger Knallfrosch, den man über den ganzen See hören konnte. Dann türmte sich aus der Mitte die
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