Bluteis: Thriller (German Edition)
der anderen Seite des Sees. Und dass man Bomben fernzünden kann, ist kein Geheimnis. Man muss nicht einmal auf dem gleichen Kontinent sitzen; eine SMS genügt.«
»Was ist mit diesem Araber auf der Eisscholle?«, bohrte Maler nach. »Warum konnte der sich retten? Und warum sind die Zelte nicht sofort untergegangen? Hat man das untersucht?«
»Nun, gestern und heute Nacht – und eigentlich zur Stunde immer noch – sind alle verfügbaren Polizei- und Armeetaucher mit der Bergung der Toten beschäftigt«, sagte Polizeichef Baffour. »Es gibt auch nichts zu untersuchen. Das Eis wurde in Tausende Stücke gerissen. Wenn es Leitungen gegeben hat oder irgendwelche Metallteile, dann liegen die jetzt auf dem Grund des Sees in metertiefem Schlamm. Wir werden nie etwas finden. Es war das perfekte Verbrechen, muss ich leider zugeben.«
»Es gibt Satellitenbilder«, erklärte der Chef der Armee. Er nickte dem Direktor des Militärischen Nachrichtendienstes zu. Der nahm mehrere Abzüge aus seiner Aktentasche und verteilte sie in der Runde. Sie zeigten ein Luftbild vom schneebedeckten St. Moritzersee und eine Vielzahl kleiner roter Kreuzchen. »Sie sehen die Detonationsorte. Wir haben ausgewertet, dass die Sprengsätze gezielt dort gezündet wurden, wo sich die Tribünen und die Rennbahn befanden. Unter den VIP-Zelten waren wesentlich weniger Sprengsätze. Es sieht fast so aus, als sollten diese Zelte länger stehen bleiben.« Der drahtige Mann, dessen Namen nur die beiden Bundesräte und der Armeechef kannten, stand auf und sammelte die Abzüge wieder ein. »Sie müssen entschuldigen. Das sind sehr frühe und sehr brisante Erkenntnisse. Wir wollen nicht, dass sie in Umlauf geraten.«
»Die Super-Reichen und ein arabischer Skijöring-Fahrer überleben. Was hat das zu bedeuten?«, wollte Jakob Maler wissen.
»Vielleicht nichts. Vielleicht befanden sich unter den VIP-Zelten Blindgänger«, sagte der Armee-Chef. »Vielleicht sollten die VIPs auch verschont werden. Im Falle des arabischen Prinzen ist es wahrscheinlich Zufall.«
»Prinz?«, fragte Maler.
»Ein Sohn des Emirs von Abu Dhabi«, erklärte Polizeichef Baffour.
»Der, der auf einer Eisscholle überlebt hat? Den sehen wir uns aber genauer an, würde ich sagen.«
»Das geht leider nicht«, sagte Geheimdienstchef Habersetzer. »Die Familie ist heute Morgen abgeflogen.«
Jakob Maler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Wie bitte?«, brüllte er in Richtung seiner Bundesratskollegin, die für das Polizeiwesen zuständig war. »Das Engadin ist abgeriegelt, haben Sie gesagt. Kein Mensch kommt rein oder raus, haben Sie gesagt!«
»Der Kollege Vorsteher des Departements für auswärtige Angelegenheiten hat bei der Frau Staatspräsidentin vorgesprochen. Ich konnte nichts tun.«
»Das geht nicht!«, schrie Maler in den Raum. »Die Sitzung ist geschlossen! Wir sehen uns heute um achtzehn Uhr wieder! Und zwar mit Ergebnissen!«
Mit diesen Worten schnappte er seine Aktenmappe und raste aus dem Konferenzraum.
Montag, 18. Februar, 10 Uhr 30
Zürich, Hauptverwaltung der Caisse Suisse
»Was meinen Sie mit verschwunden? «, herrschte Sonndobler den Abgesandten des Schweizer Geheimdienstes an.
Beat Steiner, wie er sich heute nannte, blickte den Bankchef ungerührt an. »Verschwunden. So, wie ich es sage, Herr Generaldirektor.« Stocksteif stand er vor dem ausladenden Schreibtisch des mächtigen Mannes.
»Sparen Sie sich den Generaldirektor.« Sonndobler stand von seinem Chefsessel auf und ließ seinen Besucher vor seinem Arbeitsplatz stehen. Der dunkle Tropenholztisch war leer bis auf das Telefon, das iPad, das Familienbild und das Blatt mit den acht Namen, das Steiner Sonndobler überreicht hatte.
Sonndobler ging hinüber zum Panoramafenster und schaute auf die Stadt und den See. Wie erstarrt lag alles da. Nicht allein wegen der nach wie vor eisigen Temperaturen hatte das Leben innegehalten. Der Anschlag vom Sonntag hatte den Schweizern ihre Lebensenergie geraubt. Kaum jemand ging vor die eigene Haustür, wenn er nicht unbedingt musste. Kein Lächeln war auf den Straßen, in den Cafés, in den Läden zu sehen. Eine Nation, die sich für unverwundbar gehalten hatte, war in ihrem Innersten getroffen und schwer verletzt worden.
Sonndobler drehte sich zu Beat Steiner um. »Sie werden im See versunken sein. Wie die anderen auch.«
»Die anderen haben wir gefunden, Herr Dr. Sonndobler. Die acht Leute nicht. Im See liegt niemand mehr. Wir hatten gestern das U-Boot im
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