Bluteis: Thriller (German Edition)
Teil hier mit zum IT-Mann. Die Notizen synchronisieren sich schon wieder nicht. Immer das Gleiche mit diesem Elektroschrott.«
Annemarie Käppli hatte verstanden. Noch auf dem Weg zurück zu Beat Steiner warf sie einen Blick auf das immer noch eingeschaltete Tablet. Nur die allgemeinen Daten!, stand da.
Annemarie Käppli hatte den gelben elektronischen Zettel bereits gelöscht, als sie in ihrem Vorzimmer beim dort wartenden Steiner ankam.
Montag, 18. Februar, 10 Uhr
Roseggletscher, Oberengadin
Sandra Thaler fror erbärmlich. Sie hatte keine Ahnung, wo sie war oder wie sie dort hingekommen war. Wie spät es war oder welcher Tag. Tag … Ja, Tag musste es sein, denn es drang Licht durch … durch was? Was war das, was sie umgab? War es Eis? Blaues Eis?
Sie setzte sich auf. Der Kopf tat ihr entsetzlich weh. Sie fühlte sich verkatert wie nach einem Silvesterrausch. Aber Silvester war gestern nicht gewesen, soweit sie sich erinnern konnte. Auch nicht vorgestern. Silvester war doch … irgendwann gewesen. Gestern jedenfalls nicht. Oder doch?
Wie kam sie hierher? Ja, es war Eis um sie herum. Es musste sich um eine Eishöhle handeln. Um eine Gletscherhöhle? Sie sah an sich herab und entdeckte, dass sie auf einem Podest aus Eis saß. Zwischen ihr und dem Eis befand sich ein dickes Tierfell, und sie selbst steckte in einem roten Daunenschlafsack. Befand sie sich in einem dieser Touristen-Iglus? Nein, dazu war diese Eishalle viel zu groß. Sie dachte an dieses Eishotel, das es in Schweden gab, doch dafür waren Wände und Boden viel zu ungleichmäßig. Es musste eine natürliche Eisgrotte sein.
Sie zog den Reißverschluss des Schlafsacks auf, befreite ihre Beine daraus. Es ging nur sehr mühsam und langsam. Ihr brummte der Schädel. Man hatte sie betäubt. Doch wer war das gewesen? Was war passiert?
Das Baby fiel ihr ein. Sie hatten sie betäubt, und sie war schwanger. Hatten sie ihrem Baby damit etwas getan? Sie legte die Hände auf den Bauch, aber sie spürte nichts. Beruhige dich, Sandra, sagte sie sich, im dritten Monat spürt man das Kind noch nicht.
Sie konnte sich also an etwas erinnern. An das Baby. An ihren Namen. An Thien.
Wo war Thien? Wann hatte sie ihn das letzte Mal gesehen? Im Apartment in Maloja? Wieder eine Erinnerung. Sehr gut. Nach und nach kam alles wieder.
Vom Apartment aus waren sie an den See gefahren. Wann war das gewesen? Gestern? Vorgestern? Sie waren jedenfalls sehr früh aufgebrochen. Als sie in St. Moritz angekommen waren, war der See voll mit Tribünen und Zelten gewesen.
Ja, da war das Zelt gewesen. Sie war in diesem Zelt gewesen, um die Schönen und Reichen zu fotografieren. Ein junger Araber hatte sie den ganzen Morgen umgarnt. Er hatte schon um elf einen sitzen gehabt und trotzdem immer noch mehr Champagner in sich hineingeschüttet. Und er hatte ihr von einer Wette erzählt. Er hatte auf seinen Bruder Faisal gesetzt, der an dem Rennen teilnehmen würde.
Sie war umzingelt von einer Gruppe junger Männer, die alle Englisch sprachen. Jeder von ihnen hatte einen Geldclip in der Hosentasche und schloss gleich noch einmal eine neue Wette mit dem jungen Araber ab. Wie hieß er doch gleich? Sie kam nicht drauf. War auch egal. Plötzlich wackelte das Zelt, und alle strömten nach draußen. Alle bis auf die zehn Leute, die sie umringten. Sie waren zu lässig und zu breit, um in Panik zu verfallen. Sie schenkten sich noch schnell Champagner nach, und einer rief: »The Titanic sinks! Women and children first!« Alle lachten.
Plötzlich war da dieser Lärm über ihren Köpfen. Der Hubschrauber. Er war ganz dicht über ihnen. Sie konnten ihn nicht sehen, denn zwischen ihnen und dem Helikopter befand sich das Dach des Zeltes. Doch hören konnten sie ihn. Und mit einem Mal kamen Männer durch das Dach. Männer an Drahtseilen. Sie schnitten den Stoff auf. Es waren zwei. Einer packte Sandra und zog sie mit sich nach oben. Sie lag auf dem Boden des Hubschraubers, dann wurde es dunkel.
Wie lange war das her? Eine Stunde? Einen Tag? Eine Woche? Sie hatte das Zeitgefühl verloren. Aber sie wusste, dass sie hier rausmusste.
Sie stand auf. Die Beine sackten beinahe unter ihr weg, und ihr wurde schwindlig. Sie kniff die Augen fest zu, riss sich zusammen, öffnete die Augen wieder und sah, wie das Licht durch das blaue Eis schimmerte. Es gab dort irgendwo ein Draußen. Doch wo war der Weg dorthin? Sie ging an den Wänden der Höhle entlang. Zehn auf zwanzig Meter schätzte sie den Umfang der ovalen
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