Blutengel: Thriller
den Hall seiner Stimme erstaunt war.
»Geben Sie auf. Sie wissen, dass Sie keine Chance haben.«
Einige Sekunden herrschte Stille in der Kirche, dann sagte Stevens: »Ich habe Sie erwartet, allerdings sind Sie schneller, als ich dachte.«
»Was haben die beiden Ihnen getan?«
»Nichts«, sagte Stevens. »Keines von den ach so bedauernswerten Opfern hat mir etwas getan.«
»Ich weiß, diese Menschen haben sich schuldig gemacht. Schuldig an Ihrer Lebensgefährtin und an Ihnen.«
»Schuldig«, wiederholte Stevens. »Schuldig. Das ist nur ein Wort. Nur ein kleines unschuldiges Wort. Leicht dahingesprochen und schnell vergessen.«
»Wir haben Ihre Botschaft verstanden«, sagte Mangold.
»Wissen Sie, der Genuss eines Schauspiels steigert sich ungemein, wenn man es gemeinsam sieht.«
»Chef, er hat …«, sagte Weitz, doch dann erstickte seine Stimme.
»All diese Kirchenmänner …«, begann Mangold, doch Stevens unterbrach ihn sofort.
»Nach bestem Wissen und Gewissen … ich weiß. Auch ich handle jetzt nach bestem Wissen und Gewissen. Ich wüsste gern, was Gott zu ihnen sagt, wenn sie da oben auftauchen.«
»Glauben Sie denn an Gott?«, fragte Mangold.
»Was tut das schon zur Sache? Diese Priester und Pfarrer und Pädagogen, glauben die vielleicht an Gott? Die Allmacht Gottes? Eine höhere Instanz, die zusieht, während sie Kinder missbrauchen? Sie hungern lassen? An welchen Gott glauben die? Sicher nicht an einen Gott, der sie bestraft. Und auch nicht an einen Gott der Barmherzigkeit. Mangold, vielleicht hat Gott die Strafe in unsere Hände gelegt.«
»Dafür gibt es Richter, Gefängnisse …«
»Und Verjährungsfristen.«
»Wir haben die Gesetze nicht gemacht.«
»Sie sind der Staat. Und als Polizeizeichner war auch ich der Staat. Ich habe meine Strafe schon bekommen.«
»Warum jetzt Unschuldige töten?«, beharrte Mangold.
»Hören Sie doch auf. Kinder sind unschuldig. Erwachsene nicht. Und Kinder werden dort zu Monstern erzogen.«
»Sie meinen Binkel? Den Mann, der Ihre Lebensgefährtin vergewaltigt hat?«
»Binkel, Binkel. Der war nur ein Schaf auf der Kirchenweide. Binkel!«
»Aber die Opfer sprechen. In der Öffentlichkeit«, hörte Mangold Hensens Stimme.
»Fein, sie sprechen. Und was ist mit den Tätern, die jahrelang gedeckt wurden? So lange, bis die Verjährung sie freispricht? Dieses Entschuldigungsgefasel, wem hilft das?«
»Was ist mit Ihrem Vater?«, fragt Hensen.
»Ich hatte nie einen Vater. Ein Feigling.«
»Aber er war Ihr Vater.«
Stevens räusperte sich.
»Sie werden mich nicht überreden können.«
»Ich verstehe«, sagte Hensen. »Aber es ist falsch. Das Bild ist falsch.«
Stevens schwieg ein paar Sekunden und sagte dann: »Das Bild ist neu, zu neuem Leben erwacht.«
»Michelangelo, nicht wahr? Und Sie machen aus den Wolken des Meisters ein Drahtgestell.«
Mangold duckte sich in die Figurengruppe. Hensen stand seitlich der Arbeitsbühne hinter der Kanzel.
»Wollen Sie jetzt mit mir über Kunst reden?«
»Warum Kunstwerke?«, fragte Hensen.
»Die wahren Täter sind Material geworden. Und stellen sich selbst dar. Die Menschen sind zu Gemälden geworden.«
»Jeder Mensch ist ein Künstler. Hat das nicht Ihr Lehrer Beuys gesagt?«, fragte Hensen.
»Wenn jeder Mensch ein Künstler ist, dann kann auch aus jedem Menschen ein Kunstwerk werden«, sagte Stevens.
»Als Polizeizeichner hat man viel Zeit, darüber nachzudenken. Was stimmt nicht an meinem Bild?«
»Gott hat die Menschen befreit, Sie fangen sie wieder ein und pferchen sie in ein Drahtgestell.«
»Das ist mein Gebet«, sagte Stevens. »Die Entlassung der Menschen aus den Drahtgeflechten. Aber einige müssen erst ins Feuer. Ich habe mir das nicht ausgedacht.«
»Was nicht ausgedacht?«
»Die ewige Verdammnis.«
Mangold machte einen Schritt auf die Arbeitsbühne zu.
»Sie haben die Kunst besudelt, die Künstler durch den Dreck gezogen«, sagte Hensen.
»Unsinn.«
»Selbstverständlich. Sehen Sie die Figur vor mir? Was steht da drauf? Doppelstandbild der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen von Gottfried Schadow. Wer ist schon Gottfried Schadow? Das haben Sie damit gemacht. Sehen Sie?«
Mangold sah, wie Hensen sich mit aller Kraft gegen die Skulptur stemmte. Sie begann zu wackeln und stürzte um.
Mit einem krachenden Getöse schlug sie auf den Boden.
Vorsichtig blickte Stevens über den Rand der Arbeitsbühne in die Tiefe.
Mangold schoss sofort, dann noch einmal. Er hörte, wie der Körper
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