Blutengel: Thriller
tief durch die Nase ein. Seeluft. Und dazu der würzige Duft des Getreides, das links und rechts der Straße gelb leuchtete. Kleine Windstöße fuhren in die Halme und ließen Wellen über die Felder rollen. Das Ganze sah aus, als hätte sich van Gogh der Landschaft angenommen und seine Pinsel vorher kräftig in Farbe getaucht.
Neben ihm saß sein Freund Hensen, der weder von der Landschaft noch von dem blauen Himmel etwas mitzubekommen schien.
Mit halb geschlossenen Lidern reckte er den Kopf mit den kurz geschorenen Haaren leicht nach vorn. Die Lippen bedeckten die Reihe seiner gleichmäßigen und auffällig kleinen Zähne.
Über ein Jahr war es jetzt her, dass er sich in der Kantine mit dem ehemaligen Kriegsreporter angefreundet hatte. Für die Polizeiführung hatte der Journalist sich monatelang durch die Archive gewühlt und Material über die Verstrickung des Polizeiapparats in die Machenschaften der Nazis aufgespürt.
Mangold überholte einen Bus, in dem ein regionaler Fußballverein Mannschaft und Fans zum nächsten Spiel kutschierte. An den Fenstern baumelten Clubschals, ein Mann mit einer grün-weißen Mütze prostete ihm mit einer Bierdose zu.
Im Rückspiegel sah er seinen Assistenten Tannen, der mit gebeugtem Kopf etwas in seinen Laptop eingab. Seit einer halben Stunde hatte er nichts mehr gesagt, sondern war in die digitale Welt abgetaucht. Sein Gesicht, das Mangold an einen Versicherungsvertreter aus der Werbung erinnerte, war ausdruckslos.
Mangold stieß den vor sich hindämmernden Hensen mit dem Ellenbogen an.
»Was wird das, ‘ne neue Art von Selbsthypnose?«
»Ich konzentriere mich«, sagte Hensen.
»Und auf was?«
»Die Lücken zwischen den weißen Streifen da auf der Fahrbahn.«
»Du zählst die …?«
»Ich bin auf Sinnsuche. Das Leben, der Tod, der Zustand der Welt und mein Sexleben. Das Übliche eben.«
»Was ist mit der Landschaft?«
»Postkartenidylle liegt mir nicht. Vom Land kommt das wahre Grauen.«
Im Rückspiegel sah Mangold, wie sein Assistent Tannen missbilligend das Gesicht verzog. Dann senkte sich sein Blick wieder auf den Bildschirm.
Mangold hatte an diesem Samstag endlich einmal ausschlafen wollen, doch der Anruf seines Chefs, Kriminaldirektor Wirch, hatte ihn um sechs aus dem Bett getrieben.
»Schnappen Sie sich diesen Journalistentypen Hensen und einen Ihrer Leute und fahren Sie nach Niendorf.«
»Niendorf bei Hamburg?«
»Niendorf an der Ostsee.«
Auf seine Nachfrage, was sie da sollten, hatte Wirch »später« gebrummt, eine Adresse genannt und aufgelegt.
»Kennt jemand das Kaff?«, fragte Mangold.
Tannen räusperte sich, tippte etwas in seinen Laptop und sagte: »Kleines Hafennest mit ein paar Hundert Einwohnern, gehört zur Gemeinde Timmendorfer Strand. Wegen seiner Lage direkt an der Ostsee bei Touristen und Kurgästen beliebt. Die Attraktion ist ein Vogelpark. Na ja, und der Hafen.«
»Und Fischbrötchen?«, fragte Hensen. »Was ist mit Fischbrötchen?«
Er drehte sich zu Tannen um. Der starrte stumm auf seinen Bildschirm.
»Ehrlich, Tannen, das war kein Witz, ich habe Hunger. Was Deftiges.«
Mangold folgte der Ausschilderung und bog von der Schnellstraße ab. Die Häuser am Ortseingang mit ihren roten Dächern waren in den letzten Jahren im Einheitsstil errichtet worden. Nachdem sie eine kleine Tankstelle passiert hatten, führte die Straße direkt an der Strandpromenade entlang.
Über der Ostsee lag ein Schleier, durch den ein weißer Ausflugsdampfer glitt. Ein Mann zog einen Strandkorb näher ans Wasser heran und richtete ihn zur Sonne aus. Mütter saßen auf den Bänken am Rande der Promenade und beobachteten ihre Kinder, die an einer vielleicht einen Meter hohen Flutschutzmauer spielten. Dazwischen spazierte eine Nonne in schwarzem Ornat. Sie hatte einen kleinen Jungen an der Hand.
Mangold erkannte auf der weißen Seebrücke zwei Angler, die ihre Ruten übers Wasser hielten.
»Tannen, wo soll dieser Tatort sein?«
»Richtung Hafen, also immer geradeaus.«
»Fischbrötchen«, sagte Hensen und deutete auf einen Kiosk.
»Du wirst dich noch ein wenig gedulden müssen«, erwiderte Mangold.
Die Hauptstraße führte durch den alten Ortskern. Kurz vor dem Hafen entdeckte Mangold die Flatterbänder, mit denen der Tatort weiträumig abgesperrt war.
Ein Polizist hob das Band in die Höhe. Im Leerlauf ließ Mangold den Wagen auf den kleinen Parkplatz vor dem Haus rollen und zog die Handbremse an.
Ein uniformierter Polizist beugte sich zum halb
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