Blutengel: Thriller
…«
»Wir haben ein weiteres potenzielles Opfer«, unterbrach Mangold. »Der Mann ist bei uns in Hamburg aufgetaucht und hat einen Drohbrief erhalten.«
»Mit einem lateinischen Satz?«, fragte Arlandt.
Mangold nickte.
»Und er hat eine Vermutung.«
Arlandts Augen wurden schmal.
»Einen Verdächtigen?«, fragte er.
»Dafür ist es zu früh.«
»Und der Mann ist bei Ihnen in Hamburg aufgetaucht?«
»Ja, mein Assistent hat mich telefonisch darüber informiert, ich weiß noch nichts Genaueres.«
»Hamburg«, wiederholte Arlandt nachdenklich.
»Nach dem Mord an Tanja Binkel haben wir zunächst an eine Beziehungstat gedacht. Eine Frau, die man an einem Bein an die Decke hängt … also, wir hatten sofort ihren Bruder im Visier.«
»Und was hat das mit Hamburg zu tun?«, bohrte Hensen nach.
»Ziemlich verrückt, ihr Bruder, er ist Patient in einer Hamburger Pflegeeinrichtung.«
6.
Mit seinem Smartphone überprüfte Tannen gerade, ob neue Mails eingetroffen waren, als der Wagen über einen Asphaltbuckel rumpelte.
»Scheiß-Straßen«, sagte Weitz.
»Scheiß-Gegend«, erwiderte Tannen und sah aus dem Fenster.
Die Industrielandschaft hier am Rande des Hamburger Hafens war verwaist. Vereinzelt standen Lastwagen am Straßenrand. Zwischen gewaltigen und leeren Lagerplätzen für Container wechselten sich Speditionen, Lagerhallen, Autosalons, Schrottfirmen und Schnellrestaurantketten ab.
Der Wagen ruckelte über das Kopfsteinpflaster vorbei an schiefen Kantsteinen. Auf der linken Straßenseite bot ein Secondhandshop »Neuwertige und in Stand gesetzte Büromöbel aus Konkursmasse«.
Zahlreiche Gebäude standen leer. Gras, Gebüsch und herumwehender Müll begannen die Schuppen und Hallen zu erobern. Plötzlich unterbrachen Parzellen eines Kleingartenvereins die Ödnis.
Nein, Tannen hatte nicht erwartet, so schnell wieder mit Weitz in einem Wagen zu sitzen und gemeinsam zu ermitteln. Nach diversen Schlampereien bei ihrem letzten Fall und einem Korruptionsverdacht hatte die Interne Weitz in die Mangel genommen. Doch seinem Gesichtsausdruck nach fühlte der sich eher geadelt. Heute konnte Tannen nicht mehr verstehen, wie er die vier oder fünf gemeinsamen Abende mit Weitz überhaupt ausgehalten hatte. Der Mann war ein Rüpel. Gut, das würde sicher auch mancher über ihn behaupten. Immer noch hatte er diesen Nebenjob als Türsteher vor einer Diskothek an den Hacken. Er musste seine Finanzen besser im Auge behalten, aber da war schließlich auch noch Joyce. Nicht, dass sie ihn unter Druck setzte, aber hin und wieder wollte er ihr etwas bieten. Auch wenn er sich aus dem Kopf geschlagen hatte, in nächster Zeit mit ihr zusammenzuziehen. Dabei wäre das alles viel billiger. Für Joyce kam das nicht in Frage. Sie brauche ihre »Höhle«, wie sie sagte. Um abzuschalten.
Seitdem sie sich auf Yoga und Tai Chi spezialisiert hatte und nebenher noch als mobiler Massagedienst die Vorstandsetagen einiger Firmen abgraste, bekam er sie ohnehin kaum noch zu sehen. Egal, er hatte jetzt anderes zu tun. Er hatte die Chance, fest dem Team von Mangold zugeteilt zu werden. Er hatte einen kleinen Platzvorteil, und den musste er ausnutzen.
Neben dem Autisten Sienhaupt war er der Einzige in der Abteilung, der sich einigermaßen mit Computern und Computerrecherche auskannte. Er musste seine Kenntnisse unbedingt vertiefen.
Weitz steuerte den Wagen über breiter werdende Straßen und bog nach einer Kreuzung, auf der sich der gesamte Schwerlastverkehr der Gegend traf, in einen heruntergekommenen Weg ab. Neben einer S-Bahnstation säumten vernachlässigte Einfamilienhäuser aus den 1970er Jahren die Straße. Viele waren zweifellos unbewohnt, andere sahen so aus, als würden ihre Bewohner lieber heute als morgen die Tür abschließen, den Schlüssel in die Elbe werfen und das Weite suchen.
Gegenüber sah er Kräne, die Container von Eisenbahnwaggons hievten.
»Hier möchte ich nicht tot überm Zaun hängen«, sagte Weitz. »Ein gutes Gefühl zu wissen, dass die Leute, die wir am Arsch kriegen, nicht in die Sommerfrische verschwinden. Da macht die Arbeit gleich doppelt Spaß.«
Plötzlich mündete der Holperweg in eine frisch asphaltierte Straße. Auf der linken Seite zog sich schier endlos die Betonmauer der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlang. Davor ein Rasenstück, ein mit Wasser gefüllter Graben, wieder ein Streifen Rasen und ein weiterer Zaun. Ein Justizbeamter mit Schäferhund suchte das Stück zwischen den Zäunen
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