Blutengel: Thriller
sie war überrascht, denn von dem toten Augenzeugen konnte der Mann unmöglich wissen. Mangold und Hensen hatten die Leiche erst vor zwei Stunden gefunden! Und nach außen war sicher nichts durchgesickert.
»Woher kennen Sie das Opfer?«, fragte Tannen betont beiläufig.
»Ich bin das dritte Opfer«, sagte Clemens Carolus und zog einen Zettel aus der Hosentasche.
Sorgfältig faltete er das Stück Papier auseinander, überflog die Zeilen und reichte ihn fast in Zeitlupe an Tannen. Musikerhände, dachte Kaja. Weitz pfiff leise durch die Zähne.
»Dum spiro spero«, las Tannen vor und war im Begriff, die Worte in seinen Laptop einzugeben, als Carolus laut und vernehmlich, beinahe feierlich sagte: »Solange ich atme, hoffe ich.«
»Und das haben Sie zugeschickt bekommen?«
»Zweifellos eine Drohung«, sagte Carolus. »Die anderen Opfer haben doch auch solch eine Drohung erhalten.«
Marc Weitz hüstelte und sagte: »Über unsere Ermittlungsergebnisse können wir Ihnen leider keine Auskunft geben.«
»Ich habe das Recht zu erfahren …«
»Wir stehen erst am Anfang unserer Ermittlungen. Haben Sie Feinde, Herr Carolus?«, fragte Kaja.
»Wer hat die nicht?«
»Womöglich ist das nur ein sehr, sehr schlechter Scherz.«
»Ein Scherz?«
»Jemand, der Ihnen Angst einjagen will. Ein Trittbrettfahrer. Von denen gibt es leider eine ganze Menge.«
»Ich glaube, Sie nehmen das nicht ernst. Und mich auch nicht«, sagte Carolus. »Diesen Zettel schiebt mir jemand unter der Haustür durch, und Sie …«
»Sie sind sicher, dass Sie die beiden anderen Opfer nicht kannten?«
Weitz öffnete seine Schublade und zog zwei Tatortfotos heraus, die die Gesichter Tanja Binkels und Hans Innachs zeigten.
Carolus musterte die Bilder mit einer Mischung aus Neugierde und Abscheu und reichte sie dann kopfschüttelnd zurück.
»Wir werden diesen Brief im Kriminallabor untersuchen lassen«, sagte Tannen, zog eine Pinzette aus der Schublade und verstaute ihn in einer Plastiktüte.
»Wir müssten Ihnen allerdings Fingerabdrücke abnehmen.«
»Mir? Was soll das?«
»Sie haben den Zettel angefasst. Wir müssen Ihre Abdrücke ausschließen, sonst hat das wenig Sinn«, sagte Tannen.
Weitz setzte nach: »Sie haben doch nichts zu verbergen?«
»Verbergen? Ich habe einen Verdacht, allerdings …«
Tannen beugte sich vor.
»Einen Verdacht?«
»Der Mann hat zwei Jahre bekommen. Sitzt in der Justizvollzugsanstalt Billwerder, aber vielleicht hatte er Freigang oder Heimaturlaub.«
»Was hat der Mann mit Ihnen zu schaffen?«
»Er war dafür verantwortlich, dass meine Mutter regelrecht ausgetrocknet ist.«
»Jemand von den Wasserwerken oder was?«, sagte Weitz. »Herrgott, lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen.«
Clemens Carolus warf Weitz einen schneidenden Blick zu.
»Ein Altenpfleger«, sagte er.
5.
Mangold parkte den Wagen gegenüber einem Thai-Imbiss. Am zur Straße hin gelegenen Tresen bestellten er und Hensen jeweils ein Menü, bevor sie die Treppe hinuntergingen in einen gemütlichen Raum mit sechs Tischen, an den Wänden chinesische Malerei.
Aus einem Kühlschrank zog Hensen ein Singha-Bier und für Mangold eine Cola.
Während sie auf das Essen warteten, nahm Mangold seinen Notizblock heraus und notierte, was Tannen ihm eben am Telefon mitgeteilt hatte.
»Glaubst du an einen Zusammenhang mit Pflegediensten?«, fragte Mangold.
Hensen ließ sich ein paar Sekunden Zeit mit seiner Antwort.
»Schwer zu sagen. Ist mir alles zu vage. Gut, es ist ein verbindendes Element, aber mehr auch nicht.«
»Was stört dich?«
»Wir haben ein Opfer in Niendorf an der Ostsee und zwei in Berlin.«
»Krankenhäuser, Seniorenwohnanlagen, das sind heute zusammenhängende Konzerne«, gab Mangold zu bedenken.
»Du glaubst, da rächt sich jemand an seinem Arbeitgeber? Unwahrscheinlich.«
»Immerhin war das erste Opfer so eine Art Rechtsbeistand. Und dann haben wir diesen Carolus, von dem Tannen eben am Telefon berichtet hat. Der hat immerhin einen Altenpfleger in den Knast gebracht. Und er wird bedroht und erhält eine Warnung.«
»Eine Warnung wovor? Ziemlich chaotisch das Ganze.«
Mangold nickte.
»Du hast Recht, höchste Zeit, dass wir Struktur in unsere Ermittlungen bringen. Gibt es eine Firma oder etwas anderes in der Biografie der Opfer, die sie miteinander verbindet? Ein gemeinsamer Verein, ein geografischer Schnittpunkt, irgendetwas, das auf alle zutrifft?«
»Das muss nichts heißen«, sagte Hensen. »Wie wär’s mit einem
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