Blutengel: Thriller
von Mitte dreißig! Schluss damit. Sie hatte hier eine Aufgabe übernommen. Man setzte Vertrauen in ihre Kenntnisse, ihre Untersuchungen von Fällen und Befragungen von Gewalttätern. Ja, Vertrauen in das Glück, das sie mit ihren bisherigen Profilen gehabt hatte. Doch Glück, Glück war ein flüchtiger Geselle. Vielleicht sollte sie sich öfter mit Freundinnen treffen, ausgehen. Und verflixt noch mal endlich aufhören, in Restaurants, Bars und Cafés andere Menschen zu beobachten!
Und sie musste unbedingt die Abtreibung hinter sich bringen. Sie war dem, was man »das Böse« nannte, sehr, sehr nahe gekommen. Dieser verrückte Savant hatte sie geschwängert. Angeblich mit einem gynäkologischen Gerät. Wie auch immer: Sie trug sein Kind in ihrem Bauch. Kein Aufschieben mehr. Sie musste das endlich abhaken. Und sie musste aufhören, an den Fötus zu denken, der in ihrem Bauch heranwuchs und nicht zu ihr gehörte.
In dem im Dämmerlicht liegenden Büro herrschte eine geradezu feierliche Atmosphäre. Nur von Zeit zu Zeit wurde die Stille durch die gurgelnden Geräusche von Sienhaupt unterbrochen. Sollte sie tatsächlich hier ihr Büro aufschlagen? Eigentlich arbeitete sie ja lieber zu Hause, doch seit ihre Tochter aus dieser völlig überkandidelten Villa ausgezogen war, in der sie auf Wunsch ihrer Mutter lebte, war es still geworden. Manchmal hatte sie das Gefühl, als würde das Haus ihr die Luft nehmen. Sie überprüfte, ob ihr Telefon freigeschaltet war. Sie hatte den Hörer gerade wieder aufgelegt, da klingelte der Apparat.
Sienhaupt sah kurz über seinen Bildschirm, senkte dann aber wieder den Kopf.
»Winterstein.«
»Kaja, erinnerst du dich?«
Ihre Hand begann zu zittern, und das Telefon verwandelte sich in ein glühendes Stück Metall. Nein! Das konnte nicht sein. Ganz ausgeschlossen. Unmöglich!
»Schön, deine Stimme zu hören, Kaja.«
»Aber …«
Ihr Mund war trocken, und sie spürte, wie ihre Zunge zu einem Klumpen anschwoll.
»Ich bin keine Gefahr, Kaja. Und ich möchte nicht, dass sich das ändert.«
»Travenhorst? Jan Travenhorst?«
»Trage das Kind aus, Kaja. Alles andere wird sich finden.«
Kaja hörte ein Surren in der Leitung.
Das war ganz und gar ausgeschlossen. Die Gerichtsmediziner hatten die DNA des Serienkillers eindeutig dem zerfetzten Leichnam zugeordnet. Travenhorst konnte nicht überlebt haben. Niemals. Nein, es musste sich um einen sehr schlechten Scherz handeln.
Ihre Hände zitterten immer noch, als sie den Hörer vorsichtig auflegte. Sie ließ sich in ihren Sessel fallen und sah sich verwirrt um.
Sie blickte hinüber zu Sienhaupt, doch der war weiterhin in den Bildschirm vor ihm vertieft.
Kaja atmete hörbar aus. Sicher, Stimmen ließen sich mit modernster Computertechnologie so manipulieren, dass niemand sagen konnte, ob es sich um das Original oder eine Fälschung handelte. Erst vor wenigen Wochen hatte selbst die CIA eingeräumt, dass sie über die Stimmanalyse nicht eindeutig bestimmen könnten, ob die zahlreichen einlaufenden Botschaften Bin Ladens tatsächlich echt oder geschickte Täuschungen waren.
Es konnte also nur so ein mieser Scherz sein, denn schließlich hatte der Anrufer auch ihre einzige Frage nicht direkt beantwortet.
Doch selbst wenn es eine Fälschung war: Woher wusste der Anrufer von ihrer Schwangerschaft? In den Medien hatte über dieses »Detail« nichts gestanden. Selbst im offiziellen Polizeibericht hatte Mangold die Zwangsbefruchtung nicht erwähnt. Nur das Ermittlerteam und der Arzt, der sie nach ihrer Befreiung untersucht hatte, waren informiert.
Sie durfte sich davon nicht kirre machen lassen. Und sie musste die Abtreibung so schnell wie möglich hinter sich bringen. Erneut klingelte das Telefon.
»Kaja«, sagte die Stimme. »Ich schlage dir ein Geschäft vor.«
7.
Hensen biss sich auf die Lippe.
Wie hatte er sich nur auf diesen Wahnsinn einlassen können? Seine Uhr hatte er im Schlafraum lassen müssen, aber später als halb vier konnte es unmöglich sein. Draußen begann es gerade erst zu dämmern.
Ein mit einer Glocke bewaffneter Mönch war durch den Flur gerast und hatte sie aus den Betten getrieben. So rabiat war es nicht mal im Feldlager bei den meist weiblichen kurdischen Freischärlern zugegangen.
Selbst Vogelgezwitscher war noch nicht zu hören.
Er hätte auf die Meditationslehrerin hören sollen. Warte noch mit der ersten strengeren Übungszeit. Aber nein! Er hatte es ja besser gewusst.
Nun saß er erst 20 Minuten auf
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