Blutengel: Thriller
Streifendienst geeignet, doch eines musste man diesem Rüpel zugestehen: Er hatte einen Riecher. Selbst Joyce hatte das immer wieder erwähnt.
Für Tannen waren das meist Zufallstreffer, die sich trotz seiner rüden Ermittlungsmethoden einstellten. Auch das blinde Huhn findet ein Korn, wenn es nur häufig genug pickt.
»Intuition lässt sich trainieren«, hatte Joyce beteuert.
»Mit Räucherstäbchen und Klangschalen?«, hatte er gefragt und war wieder hinausgegangen, um in seinem kleinen Vorgarten das Unkraut zu jäten.
Und jetzt saß er hier in einem Museum, bereit, sich eine Eingebung von Hensen schicken zu lassen. Lächerlich!
Tannen klemmte sein Notebook fest unter den Arm und ging zur Abteilung mit minoischen Funden, die man bei Ausgrabungen auf Kreta entdeckt hatte.
Schon von Weitem sah er eine leuchtend blaue Mauer. »Ischtar-Tor« stand auf einem Schild, und dass es unter der Herrschaft von Nebukadnezar II. um 600 vor Christus errichtet worden war.
Überrascht war Tannen von den Ausmaßen und dem frischen Glanz der glasierten Steine.
Er sah auf die Uhr. Eine Stunde musste reichen. Bevor er zurückfuhr, wollte er unbedingt noch zwei Bekannte von Tanja Binkel aufsuchen. Beide waren berufstätig, und deshalb war der frühe Abend vermutlich eine gute Zeit, sie zu Hause anzutreffen.
Mit ein wenig Glück erhielt er von den Frauen Informationen darüber, was für ein Mensch Tanja Binkel gewesen war. Schon möglich, dass sie als erstes Opfer eine besondere Bedeutung hatte.
Ausgeschlossen werden konnte auch nicht, dass mit dem Mord an der jungen Rechtsberaterin die Serie ausgelöst wurde. Und da war ja auch noch der verrückte Bruder, um den Weitz sich kümmerte. Dann der Häftling Claus Schurmann. Gut möglich, dass der mit der Wahrheit herausrückte und erklärte, was Tanja Binkel im Gefängnis Billwerder gewollt hatte. Tannen verstand einfach nicht, warum Mangold in diesem Fall so vorsichtig vorging und die Befragung hinauszögerte.
Er musste hier raus und sich um die Arbeit kümmern. Was hatten jahrhundertealte Tempel und Stadttore mit ihrem Fall zu tun?
Jan Hensen hatte mal wieder einfach so ins Blaue gesponnen. Er war eben kein Polizist, sondern ein Schreiberling, der zwar gelernt hatte, nach interessanten Storys zu graben, doch mit systematischer Polizeiarbeit hatte das nichts zu tun. Absolut gar nichts.
Tannen ging Richtung Ausgang und durchquerte einen Saal, in dem Schautafeln die Arbeit der Archäologen dokumentierten. Besonders im Abfall wurden die Wissenschaftler fündig. Gezeigt wurde die mit Lehmziegeln gemauerte Umfassung eines Brunnens, in dem die Forscher Scherben von zerbrochenen Keramiken, Keilschriftplatten und vereinzelt sogar Schmuckstücke gefunden hatten. Verloren beim Wasserholen, dachte Tannen.
Die Müllschichten gaben den Archäologen auch Auskunft über die Fortschritte der Zivilisation. Und sie wurden für Zeitdatierungen genutzt.
Plötzlich erinnerte Tannen sich an die blauen Ziegel des babylonischen Stadttores. Er trat erneut auf das Bild mit der antiken Brunnenumfassung zu. Ins Blaue hinein!
Sein Handy klingelte.
»Und? Schon auf der Museumstour?«, fragte Hensen.
»Jetzt nicht«, sagte Tannen. »Ich muss zurück in die Wohnung von Tanja Binkel.«
»Alles in Ordnung?«, fragte Hensen. Doch Tannen antwortete nicht mehr, sondern lief zum Ausgang.
*
»Herr Weitz, in Ihrem vorläufigen Bericht steht, dass Sie drei Mal in den Wald geschossen haben. Wir haben uns das von Frau Winterstein bestätigen lassen.«
»Ja, und?«
Jens Schiermacher rückte seine Brille zurecht und sah ihm schweigend in die Augen. Dann schüttelte er den Kopf.
»Weitz, Sie ballern auf gut Glück in den Wald?«
»Kann ich mich nicht zur Wehr setzen, oder was? Dürfen die mich einfach so wegschießen?«
»Haben Sie jemanden gesehen? Jemanden mit einer Waffe?«
Weitz schwieg.
»Ihre Dienstwaffe ist eine Neun-Millimeter-SigSauer.«
»Ich kenne meine Dienstwaffe.«
»Mit einem Schuss können Sie bis zu sieben hintereinanderstehende Menschen umbringen. Die Durchschlagskraft reicht dafür locker aus.«
»Haben Sie Angst um die sieben Zwerge oder was?«
»Ich habe nicht den Eindruck, dass Sie das hier ernst nehmen.«
»Fein«, sagte Weitz. »Wenn das nächste Mal auf mich geschossen wird, schwenke ich eine weiße Fahne und stelle mich tot. War’s das?«
Schwachsinn. Dabei saß Carl Nicolai im Verhörraum, und eine Probe, die er von einem seiner Blutbilder im Atelier abgenommen hatte, war
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