Blutengel: Thriller
Nachbarin?«
Mangold kaute nachdenklich. Es gab etwas, was selbst die Faulheit noch auf Trab brachte: gezielt, aber vorsichtig eingesetzte Überforderung. Sie konnte zu brauchbaren Ideen führen, konnte helfen, den Gordischen Knoten zu durchschlagen.
Seine Sonderkommission folgte ihren Theorien und Spuren, sie hatten die Fährte aufgenommen. Sicher, mit jeder Menge Irrwegen. Wie etwa Sienhaupt, der ihnen tatsächlich den Künstler Joseph Beuys als Täter präsentieren wollte. Der Mann war nicht mal davon abzubringen gewesen, als er ihm einen Internetartikel mit dem Todesdatum des Künstlers zeigte. Jeder hatte auf seine Art die Spur aufgenommen.
Jetzt hieß es, den Ermittlungen ein System und eine Richtung zu geben. Tatmotiv, Versuch eines Täterprofils, das verbindende Element bei den Opfern, die vom Täter hoffentlich nicht nur als Zufallsopfer und Mittel zum Zweck, als Leinwände benutzt wurden, auf denen er seine blutigen Botschaften in die Welt hinausposaunte.
Ja, er musste eine Struktur finden. Kriminaldirektor Wirch saß ihm im Nacken. Sprach von baldigen Ergebnissen, von seinem Riecher, der gerade jetzt nicht versagen dürfe.
Sein Handy klingelte.
»Ich hab’ gedacht, wir haben einen schönen Plausch«, beschwerte sich Lena mit gespielter Vorwurfsmiene.
Auf dem Display leuchtete Veras Name auf. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Nein, nur nicht diesen katastrophalen Abend mit ihr aufleben lassen. Er wies das Gespräch ab.
Lena musterte ihn argwöhnisch.
»Kein Wunder, dass dich die Leute komisch finden.«
»Die Leute finden mich komisch?«
Statt zu antworten, lächelte sie ihn an.
Er half ihr das Geschirr abräumen und setzte sich in seinen Sessel. Vielleicht genau der richtige Augenblick, um den Abwasch zu übernehmen und Lena hinauszukomplimentieren.
»Hat Spaß gemacht«, sagte Lena. »Du brauchst dich nicht zu bedanken.«
Es klingelte an der Wohnungstür. Mangold fuhr zusammen. O nein, Vera!
»Willst du nicht aufmachen, Schatzi?«, fragte Lena und sah ihn belustigt an.
Sie redete mit voller Absicht so laut, dass man es im Hausflur hören musste.
Mangold öffnete. Kaja Winterstein stand mit feuchten Haaren vor ihm. Mit dem Handrücken wischte sie sich die Regentropfen von der Stirn.
»Ich weiß, es ist spät.«
»Sie? Woher kennen Sie … ist auch egal, kommen Sie rein. Was ist passiert?«
Lena trat einen Schritt auf Kaja zu und sagte: »Oha.«
»Tut mir leid, dass ich hier so reinplatze, aber …«
»Mangold, das hätte ich dir gar nicht zugetraut«, sagte Lena und streckte der Profilerin die Hand entgegen.
»Sind Sie die Tochter von …«, hob Kaja an.
»Oha«, sagte Lena noch einmal. »So viele Seelenklempner, wie ich bei so einem Vater bräuchte, gibt es gar nicht.«
Kaja lächelte sie an und wandte sich an Mangold: »Ich muss Sie leider sprechen, und ich … wir können nicht warten.«
»Dann räum’ ich mal das Feld«, sagte Lena und zwinkerte Kaja verschwörerisch zu.
Mangold bot der Profilerin einen Cognac an. Sie nickte, und er zog zwei Gläser aus einem Karton.
»Sie wohnen wohl noch nicht lange hier?«
»Ich bin noch nicht zum Auspacken gekommen.«
»Ich hab’ Psychologie studiert und weiß, dass auch wir selbst nicht dagegen gewappnet sind.«
»Wogegen?«, fragte Mangold.
»Paranoia, Schizophrenie, Depressionen …«
»Um was geht es eigentlich?«
»Travenhorst oder jemand, der ihn kopiert, hat Kontakt zu mir aufgenommen und will die Abtreibung verhindern.«
Mit wenigen Worten erzählte Kaja von den Anrufen und den Nachrichten des Serientäters. Mangold wollte sie unterbrechen, ließ sie dann aber weiterreden. Nach 20 Minuten sagte er: »Es ist ganz und gar unmöglich, vollkommen ausgeschlossen.«
»Das hab’ ich auch zuerst gedacht.«
»Wir haben die Einzelteile seines Körpers eingetütet, die DNA getestet.«
»Aber Sie wissen doch, was er mit unserem Fingerabdruckabgleich angestellt hat.«
»Deshalb haben wir mehrere DNA-Quervergleiche angestellt. Überall in seiner Fabriketage haben wir Vergleichsmaterial sichergestellt. Es ist ausgeschlossen, vollkommen ausgeschlossen.«
»Jemand, der sich zumindest als Travenhorst ausgab, hat mit mir gesprochen, mich gewarnt, meinen Termin abgesagt.«
»Stimmen am Computer nachzubauen ist nicht so schwierig«, sagte Mangold.
»Ich weiß, ich weiß. Aber es ist … ja, als würde man einen Geist treffen. Außerdem …«
»Außerdem?«
»Wer sollte Interesse daran haben, den Mann zu imitieren? Meinen
Weitere Kostenlose Bücher