Blutengel: Thriller
würde das im Präsidium aus ihm herausbringen. Noch einmal würde er ihn nicht zurück in die Anstalt schicken.
Weitz machte sich auf die Suche nach einem Copyshop. Nach einer Viertelstunde wurde er in einer kleinen Geschäftsstraße fündig.
Sicher war sicher, er brauchte die Akte. Wenn er da erst auf einen richterlichen Beschluss warten sollte, hatte Binkel sich bestimmt längst aus dem Staub gemacht.
Weitz legte die Kopien in seinen Wagen und schob dann die Krankenakte wieder unter seinen Mantel. Bevor er aus dem Fahrstuhl in den Flur trat, versicherte er sich noch einmal, dass sie nicht zu früh herausrutschen konnte.
Abermals klopfte er gegen die Scheibe der Schwesternstation.
Das Gesicht der Schwester lief rot an.
»Sie kommen hier nur rein, wenn Sie einen Kollegen mitbringen. Haben Sie verstanden?«
»Ich wollte mich entschuldigen«, sagte Weitz. »Machen Sie auf, bitte.«
Die Schwester öffnete die Tür einen Spaltbreit. Weitz drückte sie vorsichtig auf und trat ein.
»Es gibt wirklich keinen Grund, Angst vor mir zu haben«, sagte er. »Ich bin die Polizei.«
»Genau das macht mir Angst.«
»Wissen Sie, das alles hier …« Bei diesen Worten drehte er sich mit theatralisch ausgestreckten Armen um und ließ die Akte für die Schwester unsichtbar auf den Schreibtisch rutschen. Als er sich wieder umdrehte, deckte er den Schreibtisch an dieser Stelle mit seinem Körper ab.
»Es tut mir leid, aber wir stehen unter großer Anspannung. Es geht leider nicht nur um einen Mord.«
»Das ist kein Grund, sich hier so aufzuführen.«
»Ich würde jetzt doch sehr gern mit Herrn Binkel reden. Geht das wohl?«, fragte Weitz, der versuchte, seine Stimme sanft klingen zu lassen.
Die Schwester musterte ihn misstrauisch, als er auf den Gang trat, folgte ihm aber und sperrte hinter sich die Tür ab.
Weitz ließ ihr den Vortritt. Meine Güte, dachte er, die Frau hat einen Arsch wie eine Bahnhofsuhr.
Sie klopfte gegen eine Zimmertür und öffnete dann.
»Das verstehe ich nicht«, sagte die Schwester. »Er hat sich nicht abgemeldet.«
Sie ging hinein, sah sich kurz um und öffnete die Schranktür. Sämtliche Kleidungsstücke Binkels waren verschwunden.
»Das hat er noch nie gemacht«, sagte sie.
Er zog seine Schuhe aus und glitt im Dunkeln in das Weiße Zimmer. Er setzte sich in die Ecke und tastete nach dem Teelicht und den Streichhölzern.
Etwas hatte sich verändert, zog wie eine Windböe durch das Zimmer, rüttelte an den Bildern, die aufschienen und wieder verblassten.
Er musste den Zugang zu diesem Bereich fest verschlossen halten. Ihn schützen. Diesen Raum, der ihm geblieben war, in dem er sich spürte. Seinen Atem, das Pulsieren unter seiner Haut, den Geruch in seinen Haaren. Das Weiß war sein Spiegel, half ihm, alles abzuwaschen. Er musste darauf aufpassen. Gerade jetzt.
Sie näherten sich. Zentimeter um Zentimeter. Auf keinen Fall durfte er jetzt nachlassen.
Aber da war noch etwas. Er dachte an diese knappe Zeitungsmeldung. »Verdächtiger im Fall des Shakespeare-Killers erhängt aufgefunden.«
Kein Zweifel, es war noch jemand in diesem Spiel. Und der kam lautlos. Hier im Weißen Zimmer konnte er ihn spüren. Er wusste, er war da draußen. Lauerte, beobachtete, lockte, wartete.
Vorsichtig streckte er das angewinkelte Bein von sich. Dann griff er zu der Kerze und zündete sie an. Er sah jetzt wieder das Bild vor sich, spürte den Flugwind auf seiner Haut, die Nässe der Wolken, die näherkommende Erde.
»Du bist ein Engel«, hatte seine Mutter gesagt. Und von dort oben stürzte er sich hinab. Mit seinen ausgebreiteten blutroten Flügeln.
20.
»Ich würde die Psychologin nehmen«, sagte Lena. »Das ist total praktisch.«
Mangold sah sie amüsiert an.
»Und was soll daran praktisch sein?«
»Keine stundenlangen Kennenlern-Gespräche, und du wirst endlich mal deinen Stau los.«
Mangold hob die nach außen gedrehten Handflächen, als wollte er sich ergeben.
»Okay, okay, ich werde ihr Patient.«
»Ich meinte den sexuellen Stau. Wenn’s schwierig wird, kannst du dich ja immer noch auf ihre Couch legen.«
Nein, es war nicht ausgemacht, wer auf die Couch gehörte. Genauer betrachtet, war es kein Wunder, dass Kaja Winterstein bei ihrer Gefangennahme durch den Serienmörder Travenhorst ein Trauma erlitten hatte. Nicht einmal sie selbst hielt das für ausgeschlossen.
Andererseits hatte sie ihm die SMS gezeigt, die seltsamerweise keine Absenderadresse aufwies. Eigentlich ein Ding der
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