Blutengel: Thriller
bedauerte im gleichen Augenblick seinen harschen Tonfall.
Kaja auf der anderen Seite der Leitung schwieg, räusperte sich und sagte dann: »Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt – suche den Pfarrerbastard.«
*
Clemens Carolus überflog die Anzeige, die in zwei Tagen in allen wichtigen Tageszeitungen sowie in der Berliner und der Hamburger Lokalpresse erscheinen sollte.
Angeblich hatte Nicolai selbst in der letzten Minute seines Lebens geleugnet, etwas mit den Morden zu tun zu haben. War darauf Verlass?
Und was war mit dem Mann, den er für diese Aufgabe engagiert hatte? Eigentlich erledigten diese Leute, die mit ständig wechselnden Handynummern im Hintergrund blieben, ihre Arbeit zuverlässig. Sie lebten von Mund-zu-Mund-Propaganda. Ein vermasselter Job wurde nicht verziehen.
Wie auch immer, der Künstler Carl Nicolai war ein Schwächling, und Schwächlinge leugneten nicht im Angesicht des Todes.
Es musste Binkel sein. Schon als Kind hatte er versucht, sich durch kleinere Spitzeldienste das Leben zu erleichtern. Eigentlich unglaublich, dass dieser verrückt gewordene Täter den Mumm aufbrachte, seine angeblichen Peiniger zu töten. Und was hatte er mit dem Niendorfer Hausmeister und der Münchener Rentnerin zu tun? Wieso hatten die seinen Zorn auf sich gezogen?
Schön, Mangolds Sonderkommission hatte den Serientäter eingekreist. So weit es eben möglich war. Den Rest musste er erledigen. Es durfte gar nicht erst zu einer Verhaftung und einem umfassenden Geständnis kommen. Binkel war auf der Flucht, und genau damit hatte er gerechnet. Er würde ihn schon aus seinem Versteck bringen. Ohne ihn, Clemens Carolus, als Opfer war seine Liste sicher nicht komplett. Der Psychopath umkreiste ihn und hatte bereits angelegt. Der Mann würde sich wundern, wenn er das Rascheln hinter sich hörte.
Carolus öffnete seine Schreibtischschublade und zog eine Schatulle heraus. Vielleicht war es besser, die Fotos zu verbrennen. Nur für den Fall, dass etwas schiefgehen sollte. Warum seiner Familie zumuten, die unangenehmen Fragen der Polizei beantworten zu müssen?
Binkel war eine lebende Zeitbombe. Selbst wenn sie ihn in einer psychiatrischen Anstalt einsperren würden, wäre er eine Gefahr. Hier ging es um höhere Interessen, und es ging um den Ruf seiner Familie. Außerdem: Sollte seine Lebensleistung vernichtet werden, weil ein nicht überlebensfähiger Bastard ihn für sein kaputtes Leben verantwortlich machte? Das durfte nicht sein.
Er nahm den Hörer ab und ließ sich mit der Anzeigenabteilung des Hamburger Abendblattes verbinden.
»Arnfried Müller, ich hätte gern eine Anzeige geschaltet.«
»Worum geht es?«
»Eine Familienanzeige. Ich möchte die Taufe meines Sohnes Jens bekannt geben.«
»Das geht leider nicht telefonisch.«
»Die Geldanweisung müsste Ihnen bereits vorliegen.«
»Arnfried Müller? Einen Moment, ich sehe nach.«
Carolus strich über ein Foto, das ihn im Kreis von 20 fröhlichen Schülern zeigte. Bezaubernde Jungen konnten es sein, und doch steckten in ihnen kleine Bestien, vor denen man sich hüten musste. Er hatte das erst spät begriffen. Fast zu spät.
Das Sodom und Gomorrha musste endlich ein Ende haben.
»Die Geldanweisung liegt tatsächlich vor. Wir müssten aber die Gestaltung besprechen, wäre es nicht besser, Sie kommen in unserer Anzeigenannahme vorbei?«
»Das wird nicht nötig sein, ich sende Ihnen ein Fax mit dem Formblatt zu, das mir einer Ihrer Kollegen geschickt hat. Den Text habe ich eingefügt.«
»Wir haben da besondere Angebote für die Gestaltung …«
»Ich faxe Ihnen den Text zu. Einen fremdsprachigen Text einzubauen ist kein Problem?«
»Nur wenn es sich um etwas Sittenwidriges handelt.«
Carolus lachte in den Hörer.
»Sicher nicht.«
Als Carolus aufgelegt hatte, tat er, was er sich bis zum Schluss aufgehoben hatte. Handschriftlich fügte er die Überschrift in den Anzeigentext. Es war die Adresse, an die diese Botschaft gerichtet war: »Angelus sanguinis «, der Blutengel.
21.
Kaja öffnete per Handy ihr E-Mailfach und las noch einmal die Mail, die sie am Vortag erhalten hatte. Seltsamerweise war diesmal ein Absender angegeben, mit Zahlen und Ziffernfolgen, die an Spam-Mails erinnerten.
»Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt – suche den Pfarrerbastard.«
Mit Sicherheit war diese Adresse nicht ausfindig zu machen, aber vielleicht ließ sich mit einer Frage klären, ob Travenhorst dahintersteckte.
Sie
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