Blutengel: Thriller
sie unter seinem Mantel verschwinden und verließ die Loge. Als er am Essensraum vorbeiging, sah er, dass der alte Mann wieder zu sich gekommen war.
Du hast ein Opfer gebracht, murmelte Weitz. Außerdem, wenn der Mann an Alzheimer litt, hatte er den Vorfall eh schon längst wieder vergessen.
*
Beim Frühstück hatte sie einen Tritt gespürt. Unsinn, ein Fötus von nicht einmal drei Monaten bewegte sich nicht.
Sie musste auf sich Acht geben. Die Abtreibung durfte ihr nicht die Kraft rauben. Sie hatte sich verpflichtet, die Polizei als Profilerin bei ihrer Jagd nach dem Shakespeare-Killer zu unterstützen. Schon zwei Mal hatte sie das modifizierte Viclas-System mit Daten gefüttert. Wie alt war er? Wo lebte er? Lebte er allein? Wo konnte er schon einmal aufgefallen sein? Fuhr er oft mit dem Wagen? Welcher Beruf passte zu ihm?
Doch auch in diesem Fall erwies sich das Viclas-System als nicht sonderlich hilfreich. Sicher war, sie hatten es nicht mit einem Gelegenheitsmörder zu tun, den eine sexuelle Störung auf die Straße trieb. Ihr Mann deckte die Leichen nicht verschämt ab, sondern präsentierte sie als Kunstwerk. Ließ sich bei seinen Rachefantasien durch berühmte Maler »anregen«. Er musste mit Kunst zu tun gehabt haben oder zumindest doch kunstinteressiert sein. Das Alter lag zwischen 30 und 50 Jahren, kräftig gebaut, und er verfügte über handwerkliche Fähigkeiten. Ansonsten ein eher penibler Mensch, ordnungsverliebt und ein verlässlicher Partner. Doch war er das überhaupt? Verheiratet oder zumindest mit einer Partnerin zusammenlebend?
Er genoss die Eskalation. Gut möglich, dass er einem kreativen Beruf nachging. Unauffällig, verschlossen und wahrscheinlich ohne großen Freundeskreis. Ein Einzelgänger und dabei überdurchschnittlich intelligent.
Kaja verspürte eine leichte Übelkeit. War das auf ihre Schwangerschaft zurückzuführen, oder war es einfach nur der Ekel, den sie spürte, wenn sie an die Abtreibung dachte?
Sie hatte es schon immer gehasst, sich fremdbestimmen zu lassen. Und genau das versuchte jemand, der sich als Serienkiller Travenhorst ausgab. Sie sah hinüber zu dem um diese Uhrzeit leeren Platz des Savants. Seine Schwester hatte ihn vor zwei Stunden abgeholt und ins Hotel gebracht. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hatte sie ihr erzählt, dass sie einen Umzug nach Hamburg plante. Ihr Bruder fühlte sich einfach wohler in der Stadt. Sein Gehirn hätte mehr Beschäftigung, ab und an beginne er sogar, sich für wildfremde Menschen zu interessieren.
Mangold würde der Schreck in die Glieder fahren, wenn er das erfuhr.
»Peter lebt mit der Arbeit richtig auf«, hatte Ellen Sienhaupt gesagt. Nein, es sei nicht nur die Herausforderung durch seine Recherchen, auch das Arbeiten mit anderen Menschen gefiele ihm immer besser.
War dieser in allen Dingen des Lebens eher unbeholfene Savant fähig, sie zum Austragen des Kindes zu nötigen?
Und wenn ja, warum? Nun gut, er hatte über das Internet eine enge Bindung zum Serienkiller Travenhorst aufgebaut, doch reichte das, ihn dazu zu bringen, dessen Kind zu schützen? Ein wenig erinnerte sie ihre Situation an »Rosemarys Baby«. Aber wuchs da in ihrem Bauch wirklich ein kleines Monster heran? Es gab keine Serienmörder-Gene.
Musste er oder sie überhaupt erfahren, was sein Vater getan hatte? Nur Eingeweihte wussten von der wahren Vaterschaft, und die würden es niemals ausposaunen. Oder doch?
Sie zwang sich, die Pathologieberichte noch einmal zu überfliegen. Was hatte sie übersehen? Gab es einen unscheinbaren Hinweis, der es ermöglichte, das Täterprofil genauer zu fassen, den Mörder einzukreisen?
Das Faxgerät gab ein elektronisches Piepen von sich und warf zwei Blätter aus. Post aus Italien. Auf dem Vorblatt hatte Tannen darum gebeten, die folgende Skizze gleich Sienhaupt vorzulegen. Er solle herausfinden, welches Gemälde da nachgestellt worden war.
Sie legte die beiden Blätter auf Sienhaupts Schreibtisch und legte zuoberst ein Blatt, auf das sie ein großes Fragezeichen malte.
Ihr Täter musste über ein gerüttelt Maß an Selbstbewusstsein, Mut und Entschlossenheit verfügen. Ließ das auf eine tiefe Verletzung schließen?
Es war nicht so einfach, in einem fremden Land zu morden.
Nur wenige Serienmörder hatten ihre Taten über Ländergrenzen hinweg ausgeweitet. Sie erinnerte sich an einen Fernfahrer, der reihenweise junge Anhalterinnen umgebracht hatte. Waldstücke in der Nähe von Rastplätzen waren seine
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