Bluterde
auf eine ungeöffnete Packung Reinigungstücher. Sie zögerte kurz, dann pfefferte sie die Schachtel in den Mülleimer. Der Deckel schwang träge vor und zurück, warf Lichtreflexe an die Wand. Lea stellte sich vor, wie Messner irgendwo in Südamerika an einem Strand lag und die Sonne genoss. Mit dem Geld, das über Jahre vom Avomex-Konto auf die Caymans und von dort auf unzählige Unterkonten geflossen war. Blutgeld. Sie versetzte dem Abfalleimer einen wütenden Tritt, Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie durch die Hölle gegangen war. Sie fegte einen Stapel Kochbücher vom Regal. Die kulinarischen Schmöker klatschten auf die Fliesen. Ihr wurde schwindelig. So schnell, wie der Wutanfall gekommen war, verschwand er wieder. Erschöpft ließ sie sich auf dem Barhocker nieder. Wie hatte Messner es geschafft, sich dieses Schattenimperium aufzubauen? McAllister hatte ihr erzählt, dass er gemeinsam mit Schneider über Jahre den Einkauf von Movia und Convia kontrolliert hatte. Dieser Schneider hatte dafür gesorgt, dass Avomex gute Geschäfte mit Reinharz machte. Sie dachte mit Schaudern an ihre Zelle mit dem Bett. Den Cowboy. Und Kivu, den kleinen Gorilla. Sie lehnte sich mit dem Rücken an die Küchenwand und atmete tief durch, um das Schwindelgefühl unter Kontrolle zu bekommen. Gesprächsfetzen vom Nachmittag schwirrten durch ihren Kopf. Ians sachliche Stimme, die ihr erklärte, dass Avomex Anteile an Intermet in Bukavu hielt. Genau wie General Basabo, Adolphes Onkel, der ebenfalls fett an Intermet verdiente. Adolphe. Sie musste die Augen schließen, um nicht wieder zu weinen. Der schüchterne, freundliche Adolphe. Er hatte sie verraten. Sie wusste zwar seit heute, dass Basabo ihn dazu gezwungen hatte, und auch, dass Adolphe bereit war, vor Gericht gegen seinen Onkel auszusagen. Adolphes Brief, den McAllister ihr zugesteckt hatte, befand sich immer noch ungeöffnet in ihrer Handtasche. Dort würde er auch noch eine ganze Weile bleiben. Lea zitterte. Sie erinnerte sich an eine Übung, die sie kürzlich gelernt hatte, setzte sich aufrecht hin, atmete tief ein, hielt die Luft kurz an und atmete wieder aus. Zählte langsam von zehn nach unten. Nach ein paar Minuten wurde sie ruhiger und das Zittern verebbte. Sie war davongekommen. Sie hatte die Hölle überlebt. Dafür war sie unendlich dankbar.
»Das Coltan bringt den Kongolesen ähnlich viel Unglück wie damals den Indianern in Südamerika das Gold. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sich alles zum Besseren wenden kann. So liegt in den USA ein Gesetzesentwurf auf dem Tisch, der einen Nachweis über die Herkunft von importiertem Coltan zwingend erforderlich machen soll. Und in Deutschland wird mit Hochdruck an einer Methode gearbeitet, eine Art ›Coltan-Fingerprint‹, die eine chemische Identifizierung von Coltan aus einzelnen Minen möglich machen soll. Vielleicht können die Menschen im Ostkongo dank solcher Maßnahmen bald in Frieden leben. Und mit ihnen die bedrohten Grauergorillas. Vielen Dank!«
Lea lächelte ins Publikum. Wie gerne würde sie selbst glauben, was sie da sagte.
»Haben Sie noch Fragen?«
Aber ihre Stimme ging im Applaus unter. Stühle wurden gerückt, Jacken und Mäntel angezogen. Die Menschen hatten es an diesem grauen Regentag eilig, nach Hause zu kommen. Der Kongo war weit weg. Es war ihr erster Vortrag, seit sie zurück war. Kurz vor ihrem Auftritt hatte sie Lampenfieber bekommen. Aber ein Gedanke an ihre Zeit im Rebellencamp reichte und ihre Angst erschien ihr lächerlich. Sie klappte ihr Laptop zu, öffnete die Tasche und verstaute die Unterlagen. Sie war so mit Aufräumen beschäftigt, dass sie die Gestalt, die sich ihr langsam näherte, gar nicht bemerkte.
»Hallo Lea, wie geht’s dir?«
Sie schrak hoch und sah in Ian McAllisters Gesicht.
»Ian!«
Stürmisch fiel sie ihm um den Hals. Er drückte sie kurz, dann schob er sie eine Armlänge von sich und musterte sie.
»Du siehst gut aus.«
»Ich fühle mich auch langsam besser. Aber was machst du hier? Es ist Samstag und du hast …«
»Ich weiß. Ich wollte dich überraschen. Bin heute privat hier.«
»Privat?«
Lea lächelte und zog eine Augenbraue nach oben.
»Ja, privat. Keine offiziellen Befragungen heute. Hey, wie geht’s Kivu oder Ado, oder wie immer ihr den kleinen Gorilla nennt.«
»Kivu. Gut. Er hat seine Lungenentzündung überstanden, frisst gut und gedeiht prächtig. Femi schickt mir jede Woche ein Update zu
Weitere Kostenlose Bücher