Bluterde
Bauteilen aus Refraktärmetallen, Qualitätsprüfung in der Fertigung... Wenigstens wusste sie jetzt, dass Reinharz Tantal aus Coltan gewann und verarbeitete. Allerdings konnte sie sonst nichts Auffälliges entdecken. Beim Menüpunkt »Zertifizierungen« wurde sie neugierig. Lea hoffte herauszufinden, aus welchen Ländern die Firma das Coltan bezog. Zu ihrer Enttäuschung verbargen sich aber hinter dem Unterpunkt nur TÜV-Zertifikate für die interne Fertigungskontrolle, die Herstellung von korrosionsbeständigen Bauteilen aus Tantal und andere technische Verfahren. Unter Service war zu lesen, dass Reinharz sowohl Tantal in Pulverform verkaufte als auch Bauteile aus Tantal fertigte. Aber über Bezugsquellen des Rohstoffes war auch hier nichts zu finden.
Keine große Überraschung, dachte Lea. Niemand stellte solche Informationen ins Netz – offiziell aus Wettbewerbsgründen. Wenn es um Coltan ging, wurden viele Unternehmen sehr schweigsam. Movia war da eine rühmliche Ausnahme.
Warum also hatte diese Aletheia sie auf Reinharz aufmerksam gemacht? Verarbeitete das Unternehmen »Blut-Coltan« aus Krisengebieten im Kongo? Leg die Karten doch einfach auf den Tisch, ärgerte sich Lea. Aber die Sache ließ sie nicht los.
»Okay, Ian, vielleicht kannst du mir wenigstens mit Reinharz helfen. Ich weiß, dass ihr fantastische Datenbanken bei Interpol habt«, flüsterte sie ihrem Bildschirm zu, als sie auf »eMail senden« klickte.
McAllister marschierte mit ausholenden Schritten über den dunklen Berkeley Square. Es war sechs Uhr morgens und er hatte noch keine Minute geschlafen. Die kühle Luft und die monotone Bewegung sollten helfen, seinen Kopf leer zu bekommen. Er sah Lucy vor sich, mit verzerrtem Gesicht, die Arme in die Hüfte gestützt. Ihre zarte Schönheit verschwand unter einer hässlichen Fratze aus Wut. War das wirklich die Frau, die er vor zehn Jahren geheiratet hatte? Sein BlackBerry klingelte. Ohne große Eile griff er danach. Er wusste, dass sie es war.
»Was gibt es?«
»Du kannst nicht einfach wegrennen, wenn dir etwas nicht passt!«
Lucys Stimme fuhr grell in seinen Gehörgang. Er hielt das Telefon ein Stück von seinem Ohr weg.
»Hör auf, so zu schreien, sonst lege ich auf.«
»Wo bist du?«
»In Mayfair.«
»Hast du das Auto?«
»Wie, glaubst du, bin ich sonst mitten in der Nacht in die Stadt gekommen?«
»Bist du bei ihr?«
»Hör endlich auf damit!«
Seine Hand in der Manteltasche ballte sich zu einer Faust.
»Glaubst du wirklich, ich bin zu dumm, es zu bemerken?«
Ihre Stimme wurde weinerlich.
»Lucy. Es gibt keine andere Frau. Schlaf gut!«
Er drückte auf den kleinen roten Hörer.
McAllister war es leid, sich ständig mit der Paranoia seiner Frau auseinandersetzen zu müssen. Er hatte ihr bisher keinen Grund geliefert, der ihr Misstrauen rechtfertigen würde. Die weibliche Natur war ihm sein Leben lang fremd geblieben, trotzdem spürte er, dass Lucys Problem tief lag. Die wiederkehrenden Episoden von Eifersucht waren nur ein Symptom – ähnlich wie Fieber bei einer Infektion. Was sie wirklich wollte, waren hundert Prozent seiner Aufmerksamkeit. Sie war der Planet, um den er kreisen sollte. Wie ein Trabant um den Mond – gefangen in ihrer Umlaufbahn. Jeden Abend, den er nicht mit ihr verbringen konnte, und jede Geschäftsreise, die ihn von ihr fernhielt, empfand sie als persönliche Beleidigung. Sie forderte seinen Job als Opfergabe auf dem Altar ihrer Ehe. Er sollte Schluss machen mit Interpol und wieder zurück zum Drogendezernat bei Scotland Yard gehen. So wie früher: Ruhige Beamtenkarriere, jeden Abend Essen zu Hause. McAllister rieb sich müde die Augen. Lucy schwelgte gern in dieser Erinnerung, die nicht die ihre war. Als sie sich kennengelernt hatten, war er längst auf dem Sprung zu Interpol. Aufregend fand sie das. McAllister war sich sicher, dass er sie als kleiner Ermittler nicht so schnell ins Bett bekommen hätte.
Er setzte sich auf eine der Holzbänke, die entlang der Kieswege standen. Es dämmerte und London erwachte langsam zum Leben. LKWs lieferten frisches Gemüse an kleine Läden und Supermärkte, in den Coffee-Shops gingen die Lichter an und aus der U-Bahn-Station Green-Park kamen die ersten müden Gesichter. McAllister knöpfte seinen Mantel auf und öffnete das Sakko. Er hatte das Gefühl zu ersticken.
Die Bäume und Büsche verschwanden hinter einem silbrigen Regenschleier. Tropfen klatschten schwer auf die Blätter und überzogen sie mit Glanz.
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