Bluterde
musste es stoppen, ehe noch mehr Unglück geschah.
Schließlich war sie die Projektleiterin und verantwortlich für die Sicherheit der Männer.
Entschlossen griff sie nach dem Telefon und rief Femis Nummer aus dem Speicher ab. Telefonieren mit dem Kongo war ein Glücksspiel, aber was sie zu sagen hatte, eignete sich nicht für eine eMail.
»Oui?«
»Das ging heute aber schnell. Hast du eine Minute?«
»Ich bin gerade auf dem Weg zur Parkaufsichtsbehörde.«
»Triffst du Vitale Matete? Das ist gut!«
Lea kritzelte mit dem Bleistift in ihrem Notizblock.
»Ich weiß nicht, was daran gut sein soll. Er wird mir den Kopf abreißen!«
»Das ist deshalb gut, weil du ihm mitteilen kannst, dass wir das Projekt bis auf weiteres aussetzen werden.«
»Was?«
Femis Stimme überschlug sich fast.
»Die Gehälter laufen natürlich weiter.«
»Bist du völlig verrückt geworden?«
»In meinen Augen ist das Projekt nicht mehr zu verantworten.«
Leas Bleistift drückte sich tiefer in das Papier.
»Wir sollen das alles einfach aufgeben, ja?«
»Nicht aufgeben, nur …«
»Lea, wenn wir uns jetzt aus dem Gebiet zurückziehen, haben diese Verbrecher genau das erreicht, was sie wollen. Sie kontrollieren die Situation durch Gewalt!«
»Das sehe ich anders.«
»Ach ja? Ich sage dir, wenn wir aufgeben, wird sich für sehr lange Zeit niemand mehr in die Nähe der Minen wagen. Und was wird dann aus den Gorillas? Und genau deshalb werde ich den Schwanz nicht einziehen!«
Mit einem Knacken brach die Bleistiftspitze ab und kullerte über den Tisch.
»Lass mich einfach ausreden. Ich habe nie von Aufgeben gesprochen. Wir pausieren. Bis klar ist, wer Malike getötet hat.«
Femis böses Gelächter bohrte sich wie ein Pfeil in ihr Gehirn. Sie hielt den Hörer ein Stück vom Ohr weg.
»Soll ich vielleicht im Dschungel einen Aushang machen? Oder Crocodile per eMail überzeugen, den Schützen freiwillig auszuliefern?«
»Hör damit auf, Femi! Aber vielleicht kannst du gemeinsam mit Vitale Matete und der Polizei etwas erreichen.«
Femi schnaubte verächtlich.
»Du mit deiner deutschen Logik!«
»Femi! Jemand muss zur Verantwortung gezogen …«
»Sitzt in Berlin in ihrem bequemen Bürostühlchen und redet über Dinge, von denen sie keine Ahnung hat!«
Er bemühte sich nicht einmal, die Verachtung in seiner Stimme zu verstecken.
»Aber du kennst die Situation im Kongo ja in- und auswendig, nicht wahr, Lea? Wie oft warst du schon hier?«
Das Telefon flog in hohem Bogen auf Leas Besuchersofa.
»Arroganter Bastard!«, brüllte sie ihm hinterher.
Wütend riss sie den Zettel mit ihren Kritzeleien aus dem Notizblock, knüllte ihn zu einer Kugel und feuerte sie in den Papierkorb. Diesen Mist musste sie sich nicht anhören! Immerhin war sie es, die das ganze Geld auftrieb, um das Projekt am Laufen zu halten. Aber Femis letzter Satz entfaltete seine Wirkung wie schleichendes Gift. Mit jeder Minute, die er tiefer in ihr Gehirn drang, fühlte sie sich schlechter.
»Er hat recht!«, wisperte eine gehässige Stimme in ihrem Kopf. Was wusste sie schon über den Kongo und das Leben dort? Für ihre Vorträge und Sponsorengespräche wurde sie von Femi mit Informationen, Bildern und dem nötigen Lokalkolorit gefüttert. Sie war nicht mehr als ein gut trainierter Papagei, der alles nachplapperte. Hatte sie wirklich gedacht, ihre Leidenschaft für die Gorillas würde ausreichen, um dieses Projekt zu leiten? Ohne dass sie jemals selbst den Kongo gesehen, gefühlt oder gerochen hatte? Je länger sie darüber nachdachte, umso naiver kam sie sich vor. Ihre Handflächen begannen wieder zu jucken.
»Du spinnst!«
»Hör mir doch einfach mal zu, Dagmar!«
»Vergiss es. Vor vier Tagen ist einer unserer Ranger bei einer Schießerei ums Leben gekommen und jetzt willst du plötzlich in den Kongo?«
Dagmar fegte mit ihrer perfekt manikürten Hand ein paar Krümel vom Bistrotisch.
»Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein!«
Lea schob ihren Teller so energisch von sich, dass der Rest der öligen Caprese-Sauce über den Rand schwappte.
»Was ist eigentlich in dich gefahren, Mädchen?«
Leas Magen zog sich zusammen, wie immer, wenn Dagmar sie so nannte.
»Ach, komm! Du warst selbst im Parc National des Volcans, als ihr das Berggorilla-Projekt in das WPS-Programm aufgenommen habt!«
»Ja! Aber das war Ruanda und nicht der Kongo!«
»Ruanda war damals aber auch alles andere als ein sicheres Pflaster.«
Dagmar warf die Serviette auf den Tisch
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