Bluternte: Thriller
hörte, wie das Wasser aufgegossen wurde, wie die Kühlschranktür geöffnet wurde. Dann kam Gwen mit einem Tablett zurück, auf dem zwei Teebecher und ein Teller mit Keksen standen. Sie bückte sich, hielt inne und blickte auf den Tisch hinunter, als ihr die Bedeutung des Staubs aufging.
»Kommt einem irgendwie nicht richtig vor, nicht wahr?«, bemerkte sie, ohne sich aufzurichten. »Meinen Sie, ich sollte ihn abwischen?«
»Ich weiß nicht so recht«, erwiderte Evi. »Vielleicht lassen Sie’s fürs Erste einfach so. Ich versuche, den Polizeibeamten noch einmal zu erreichen, bevor ich gehe. Dann frage ich ihn, was wir tun sollen.«
Gwen bückte sich noch tiefer und stellte das Tablett auf den Boden. Sie hielt Evi den Teller mit den Keksen hin.
»Ich fürchte, man kann Gillian heute wohl nicht allein lassen«, sagte Evi. Sie biss in ihren Keks und bereute es. Er war weich und lag wie feuchte Pappe in ihrem Mund. »Ich kann später anrufen, wenn sie wach ist, aber es muss jemand bei ihr sein. Wenn Sie nicht bleiben können, kann ich dafür sorgen, dass sie stationär aufgenommen wird. In der Klinik, meine ich. Vielleicht nur über Nacht.«
Gwen schüttelte den Kopf. »Ist schon okay. Ich kann bei ihr bleiben. Wir werden uns wohl zur Abwechslung mal gegenseitig ertragen müssen. Das sind ja grässliche Kekse. Entschuldigen Sie.«
»Sie stehen einander nicht sehr nahe?«, wagte Evi sich vor. Gillian sprach so selten über ihre Mutter, dass sie wirklich keine klare Vorstellung von der Beziehung zwischen den beiden hatte.
Zweifel flackerte in Gwens Miene. »Wir kommen ganz gut zurecht«, meinte sie. »Gill hatte mal eine wilde Zeit. Da ist auf beiden Seiten so einiges gesagt worden. Sie und Ihre Mum hatten doch bestimmt auch von Zeit zu Zeit Krach.«
»Natürlich«, bestätigte Evi. »Hat sie nur Sie?«
»Aye. Gillians Dad ist vor langer Zeit bei einem schlimmen Autounfall ums Leben gekommen. Meine zweite Ehe hat nicht lange gehalten. Aber das wissen Sie bestimmt alles schon, oder?«
Evi lächelte und senkte den Blick.
»Ich hab’ gehört, sie haben letzte Nacht auf dem Friedhof ein paar Leichen ausgegraben«, sagte Gwen. Sie aß ihren Keks auf und griff nach einem zweiten. »Leichen, die da gar nicht hätten sein sollen, meine ich. Stimmt das?«
»Es tut mir leid, man hat mir nicht viel darüber erzählt«, erwiderte Evi.
»Kleine Kinder, hab’ ich gehört. Sind Sie deswegen hier? Glauben Sie, es war Hayley, die sie da gefunden haben?«
»Es hieß, das könnte möglich sein.« Evi überlegte, wie sie sich wohl noch unbestimmter ausdrücken konnte. »Aber natürlich …« Mit einer Geste deutete sie auf den Couchtisch, auf den Staub, der sich zu regen schien, wie in einem Lufthauch, den keine der beiden Frauen spüren konnte.
»Wie kann es Hayley sein, wenn Hayley seit drei Jahren in einer Dose in der Küche steckt?«, vollendete Gwen den Satz.
»Als Sie hereingekommen sind«, meinte Evi, »da hat Gillian gesagt, das wäre nicht Hayleys Asche. Wissen Sie, warum sie sich da so sicher war?«
»Sie hat es nie glauben wollen«, antwortete Gwen. »Selbst als bestätigt wurde, dass es menschliche Asche ist, wollte sie das nicht akzeptieren. Als hätte irgendjemand anderes in dem Haus verbrennen können, ohne dass sie davon wusste.«
Gwen saß einen Moment lang da und kaute auf ihrem Keks herum. Evi nippte am brühheißen Tee und wartete.
»Manchmal frage ich mich, ob es meine Schuld war«, sagte Gwen schließlich. »Ob ich sie schon vor langer Zeit zum Therapeuten hätte schicken müssen. Aber damals gab’s noch keinen solchen Kuscheltherapie-Blödsinn – nichts für ungut, Liebes. Wir haben uns einfach durchgebissen.«
»Sie haben schon vor einiger Zeit gedacht, dass Gillian vielleicht Hilfe braucht?«, hakte Evi nach. »Hatte sie Probleme in der Schule?«
»Nur den üblichen Teenagerkram.« Gwen stellte ihren Teebecher auf dem Teppich ab und rieb sich Kekskrümel von den Fingern. »Hinterm Fahrradschuppen rauchen, schwänzen. Nein, ich rede davon, was mit ihrer kleinen Schwester passiert ist. Als Gillian zwölf war. Sie hat doch bestimmt davon erzählt.«
Jetzt starrte Gwen Evi an. Ihr Kiefer schien sich verhärtet zu haben. Dann griff sie nach ihrem Becher und trank zu viel. Als sie ihn wieder absetzte, konnte Evi nasse Spritzer um ihren Mund erkennen.
»Es tut mir leid«, sagte Evi vorsichtig, während sich die andere Frau mit dem Finger um die Lippen wischte. »Ich glaube nicht, dass Gillian
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