Bluternte: Thriller
folgte seinem Blick, und die beiden Männer sahen zu, wie Gillian zum Getränketisch ging. Leicht schwankend streckte sie die Hand aus und griff nach einer Flasche.
Gillians anfängliche Reaktion auf die Nachricht, dass es sich bei einer der von Tom Fletcher zutage geförderten Leichen tatsächlich um Hayley handelte, war überschäumende Freude über den Beweis gewesen, dass sie recht gehabt hatte. Dem waren jedoch sehr schnell ständige Seelenqualen gefolgt, weil sie anscheinend nicht aufhören konnte, sich die letzten Stunden im Leben ihrer Tochter auszumalen. Auch ohne mit Evi zu reden, wusste Harry, dass Gillian einen schweren Rückschlag erlitten hatte.
Rasch schaute er sich in dem Raum um. Ihre Mutter war nirgends zu sehen. »Würden Sie mich entschuldigen?«, fragte er Rushton.
Der Ältere nickte. »Aye, Junge, gehen Sie nur«, meinte er. »Obwohl, ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob Sie viel für sie tun können.«
62
»Okay, das sind die Spielregeln«, verkündete Evi und schaute in drei gespannte, hellwache Gesichter hinab. Sie befanden sich im Familientherapieraum der Klinik. Die Fletcher-Kinder saßen ihr in drei knallbunten Miniatur-Sesseln gegenüber.
»In diesem Karton sind Masken, ein paar lustige und auch ein paar ziemlich gruselige«, fuhr sie fort. »Wenn also jemand Angst bekommt oder sich irgendwie nicht gut fühlt, dann können wir sofort aufhören. Joe und Millie, wenn ihr zu dem Tisch da rübergehen und ein bisschen malen oder mit den Sachen in der Kiste spielen wollt, dann geht das in Ordnung. Wenn ihr lieber hierbleiben und Tom helfen wollt, ist das auch okay.«
»Ich möchte malen«, sagte Joe.
Evi deutete auf den niedrigen Tisch, auf dem bereits Malpapier sowie Buntstifte und Wachsmalkreiden bereitlagen. In einer Ecke des Zimmers saßen Alice und Detective Constable Liz Mortimer. Evi hatte beide gebeten, die Kinder nicht abzulenken oder in Verlegenheit zu bringen. Hinter einem großen Spiegel an einer Wand des Zimmers sah DC Andy Jeffries ihnen zu und machte sich Notizen.
»Okay, Tom«, meinte Evi. »Bist du bereit, einen Blick in den Karton zu werfen?«
Tom nickte. Er sah beklommen aus, genoss aber Evis Meinung nach die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde. Evi ließ sich auf den Teppich gleiten. Knien, ganz gleich, wie lange, war eine ganz schlechte Idee, etwas, wofür sie später bezahlen würde, in diesem Fall aber ließ es sich nicht vermeiden. Sie hob den Deckel von dem Pappkarton und war sich dabei der Tatsache bewusst, dass Alice sie unter dem schützenden Schirm ihrer linken Hand hervor beobachtete, eine Zeitschrift auf dem Schoß. Evi griff in den Karton. »Ich glaube, das hier ist …« Rasch schielte sie auf die Maske hinunter, die sie hervorzog. »Scooby Doo«, verkündete sie und hielt das Gesicht eines Cartoon-Hundes hoch.
Tom lächelte und entspannte sich sichtlich. »Darf ich die mal anprobieren?«, fragte er.
Evi reichte sie ihm, während Millie sich aus ihrem Sessel zappelte und schnurstracks auf den Karton zutappte. Tom zog sich die Scooby-Doo-Maske über den Kopf und drehte sich um, um sich in dem großen Spiegel zu betrachten. Alice schaute auf, lächelte und wandte sich wieder ihrer Zeitschrift zu. Millie hatte den Kartondeckel aufgehoben und balancierte ihn auf dem Kopf.
»Okay.« Wieder griff Evi in den Karton. »Als Nächster kommt Basil Brush, der Fuchs. Kann ich die anprobieren?«
»Wir gehen morgen zu einer Pantomime«, erzählte Tom. »In Blackburn. Als Schulausflug.«
Diese Übung vorzubereiten hatte etliche Wochen gedauert. Der Einfall war Evi kurz nach jenem Abend gekommen, als Tom ihr zum ersten Mal von dem merkwürdigen Mädchen erzählt hatte. Nachdem sie sich seine Beschreibung angehört hatte, hatte sie dem Ermittlungsteam ihre Theorie unterbreitet, dass irgendjemand, wahrscheinlich ein älteres Kind oder ein junger Teenager, sich in der Nähe des Hauses herumgetrieben und sich sogar mindestens einmal dort hineingeschlichen hatte, und zwar mit einer Art Karnevalsmaske. Wenn sie herausfinden konnte, was für eine Maske hier benutzt worden war, dann hätte die Polizei vielleicht die Möglichkeit herauszufinden, wo und an wen sie verkauft worden war. Das Ganze war reine Spekulation, besonders da es keine Beweise dafür gab, dass Toms Mädchen irgendetwas mit Millies versuchter Entführung zu tun hatte, doch die Polizei war bereit, es zu versuchen.
Nachdem das beschlossen worden war, hatten die Polizisten sämtliche Party-, Karnevals- und
Weitere Kostenlose Bücher