Bluternte: Thriller
herkommst«, erwiderte er.
»Ach, sei doch nicht so verdammt kindisch«, fauchte sie. »Harry, das ist wichtig. Sag mir, was passiert ist.«
»Da ist jemand an der Tür«, entgegnete er. »Ich muss hingehen. Wenn du nicht in einer halben Stunde hier bist, komme ich zu dir.« Er legte auf.
Leise vor sich hinfluchend ging Harry den Flur hinunter. Durch das Glas der Haustür konnte er eine hochgewachsene dunkle Gestalt erkennen. Während er noch überlegte, wo wohl der Geschwindigkeitsrekord für das Abwimmeln eines unerwünschten Gemeindemitglieds lag, zog er die Tür auf.
Detective Chief Superintendent Rushton stand auf der Schwelle, in der einen Hand eine Flasche Jameson. Er hielt sie hoch. »War nicht zu übersehen, dass in Ihrer Flasche ein bisschen Ebbe geherrscht hat, als ich das letzte Mal hier war«, meinte er. »Also hab’ ich mir selbst was mitgebracht.«
64
18. Dezember
»Hey, du.«
Harry blickte auf. Er hatte Schritte näher kommen gehört und angenommen, dass es lediglich noch ein Polizist war, der um seine Kirche herumstrich. Und noch ehe er den Mund aufgemacht hatte, um Hallo zu sagen, war er auch schon auf den Beinen. Schritt durch die Sakristei auf die junge Frau zu, die möglicherweise dasselbe Veilchenblau trug wie das ihrer Augen, nur konnte er das nicht mit Gewissheit sagen, weil er sie bereits in die Arme genommen und an sich gedrückt hatte, und sie lächelte zu ihm auf …
Träum weiter, Harry. Er hatte sich nicht von seinem Schreibtisch weggerührt, starrte noch immer stumpfsinnig durch den Raum, und ja, sie trug Veilchenblau, einen großen, weiten Pullover über engen schwarzen Jeans, die in hohen Stiefeln steckten. Und das war ein höchst unklerikaler Gedanke, der ihm da kam, von diesen Stiefeln an nackten Beinen.
»Du bist nicht gekommen«, sagte sie, die eine Hand am Türrahmen. Mit der anderen hielt sie die Tür einen Spalt auf.
Harry lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Fünf Sekunden würde er brauchen, um den Raum zu durchqueren, die Tür mit dem Fuß zuzustoßen und seine Fantasie in die Tat umzusetzen.
»Meine andere große Liebe ist mit einer Flasche Whiskey aufgekreuzt«, sagte er. »Nach einer Stunde war Autofahren wirklich keine Option mehr, für uns beide, und ich hoffe, er leidet heute auch schon den ganzen Tag.«
» DCS Rushton?«, fragte sie, während ihre Wangen ein wenig rosiger glühten.
»Genau der.« Würde er wirklich fünf Sekunden brauchen? Wahrscheinlich könnte er es auch in vier schaffen, wenn er über den Schreibtisch sprang.
»Und, wie ging es ihm?« Sie trat vor, nahm ihren Stock, der am Türrahmen gelehnt hatte, und ließ die Tür zufallen.
Wenn er über den Schreibtisch sprang, würde er kotzen müssen.
»Er hat schreckliche Angst, dass man ihn in Frührente schickt, bevor der Fall gelöst ist«, antwortete er. »Und hat nicht den leisesten Schimmer, was er als Nächstes tun soll. Ich hab’ gesagt, ich verstehe sehr gut, wie ihm zumute ist, und wir haben uns beide noch einen eingeschenkt.«
Ihr Lächeln verblasste, als sich draußen Schritte näherten. Harry wartete ab, ob sie auf die Sakristei zuhielten, doch sie knirschten weiter den Weg entlang.
»Du musst mir erzählen, was hier los war«, sagte sie. »Das ist wichtig.«
Harry seufzte. Er wollte das alles jetzt wirklich nicht mit Evi durchhecheln. Alles, was er wollte, war vortreten, sie von dieser verdammten Tür wegzerren und …
Sie ließ den Kopf zur Seite sinken und sah ihm unverwandt in die Augen. »Bitte.«
»Okay, okay.«
Mit so wenigen Worten wie möglich schilderte er ihr alles, was ihm seit seiner Ankunft in Heptonclough an seltsamen Dingen widerfahren war: die flüsternden, drohenden Stimmen, das ständige Gefühl, nicht allein in der Kirche zu sein. Die zerschellte Puppe, die bemerkenswerte Ähnlichkeit mit Millie gehabt hatte, und dann sein persönlicher Favorit: Blut aus einem Abendmahlkelch trinken. Als er geendet hatte, schwieg sie.
»Darf ich mich setzen?«, fragte sie schließlich.
Er zog einen Sessel vor den Schreibtisch, und sie ließ sich mit einer Schmerzfalte auf der Stirn hineinsinken. Dann blickte sie zu ihm auf. »Alles okay?«
Er zuckte die Schultern. »Das kann ich dir so auf die Schnelle nicht beantworten. Kannst du in dem Ganzen irgendwo einen Sinn erkennen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Aber ich glaube, ich komme allmählich dahinter, wer Ebba sein könnte. Deswegen bin ich auch hier. Mein Laptop ist in meiner Tasche. Kannst
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