Bluternte: Thriller
Halloweenmasken herbeigeschafft, die sie in den Geschäften und im Internet hatten auftreiben können. Evi hatte bereits ein paar aussortiert, die keinerlei Ähnlichkeit mit Toms Beschreibung hatten, und hatte die lustigen, weniger bedrohlichen so zurechtgelegt, dass sie zuerst hervorgezogen werden würden.
Jetzt griff Tom selbst in den Karton und drehte sich mit jedem neuen Fund zum Spiegel um, um zu sehen, wie das aussah. Millie tat es ihrem Bruder gleich und verhedderte das Gummiband in ihrem Haar. Joe ignorierte die beiden ganz gezielt. Langsam wurden die Masken düsterer, unheimlicher, waren nicht mehr für Kinderfeste gedacht.
»Mum, schau mal«, rief Tom. Mit einer viel zu großen Maske über dem Kopf richtete er sich zu voller Größe auf. Anscheinend stellte die Maske einen osteuropäischen Kleinbauern mit sabberndem Mund und sehr wenig Hirn dar.
»Was?« Alice blickte von ihrer Zeitschrift auf. »Oh, sehr hübsch.«
»Du weißt genau, wer ich bin«, drängte Tom. »Der Diener aus Young Dracula. Der, der den beiden immer Haferbrei aus Fledermauspopeln zum Frühstück macht.«
»Ja, das muss ich für uns auch mal kochen«, erwiderte Alice. »Sind da noch schönere drin?«
Tom wandte sich wieder dem Karton zu, während Millie mit einer Unglaublicher-Hulk-Maske über dem Gesicht auf ihre Mutter zugewatschelt kam. Die Maske stand auf dem Kopf.
Eine halbe Stunde später war Tom zum Boden des Kartons vorgedrungen, und Evi war bereit, ihre Niederlage einzugestehen. Das Gute war, dass die Übung anscheinend keinem der Kinder Angst gemacht hatte. Tom hatte das Ganze als tolles Spiel betrachtet; er hatte jede einzelne Maske anprobiert und sogar Evi dazu genötigt, ein paar aufzusetzen. Auch Millie hatte mitgemacht, obgleich sie nach einer gewissen Zeit müde geworden war und jetzt auf dem Schoß ihrer Mutter saß. Joe hatte seine beiden Geschwister überhaupt nicht beachtet und sich stattdessen auf seine Zeichnung konzentriert. Er war ein klein wenig zu weit weg, als dass Evi hätte erkennen können, was er malte.
Auf der Uhr in der Zimmerecke war es fünf vor halb sieben. »Ich fürchte, wir müssen jetzt Schluss machen«, verkündete Evi mit einem raschen Blick auf den großen Spiegel. »Tom, vielen Dank. Das war sehr mutig von dir. Und eine große Hilfe. Danke, Millie.« Sie blickte zu Alice und DC Mortimer in der Zimmerecke hinüber. Alice zog in einer stummen Frage die Brauen hoch. Evi schüttelte den Kopf. Daraufhin erhob sich Alice mit Millie auf dem Arm. Die Augen der Kleinen waren glasig, und sie kuschelte sich dicht an ihre Mutter.
»’n Versuch war’s wohl wert«, murmelte die Polizistin und stand auf.
»Kommt, Jungs«, sagte Alice. »Wo sind unsre Jacken? Joe, bist du fertig?«
Evi hatte Joe beinahe vergessen. Der Junge war die ganze Zeit über so still gewesen, während sie sich mit Tom und Millie beschäftigt hatte. Jetzt stand er auf, betrachtete das Bild, an dem er gearbeitet hatte, und brachte es dann zu ihr herüber. Er hielt ihr das Blatt hin.
Evi nahm es und fühlte, wie ihr die Brust eng wurde. Für einen Sechsjährigen war die Zeichnung außergewöhnlich gut gelungen. Sie zeigte eine hellblau gekleidete Gestalt mit langem hellen Haar und übergroßen Händen und Füßen. Auch der Kopf schien zu groß zu sein, während die Augen geradezu riesig wirkten und unter schweren Lidern hervorzublicken schienen. Der Mund mit den vollen Lippen stand schlaff offen, und der Hals war schrecklich verunstaltet. Eine Bewegung neben Evi verriet ihr, dass auch Tom die Zeichnung seines Bruders betrachtete. Alice und Millie traten zu ihnen.
»Ebba.« Millies Augen leuchteten auf, während sie die Hand nach der Zeichnung ausstreckte. »Ebba.«
»Das ist sie«, stieß Tom mit dünner Stimme hervor. »Genauso sieht sie aus.«
63
»Alle drei? Bist du sicher?«
»Absolut«, erwiderte Evi. »Joe hat sie gemalt, und sowohl Tom als auch Millie haben sie erkannt. Millie hatte sogar einen Namen für sie. Ebba, so hat sie sie genannt. Die Polizei muss sie nur finden. Spielst du gerade Springsteen?«
»Man wird ja als Mann wohl noch träumen dürfen. Warte, ich mach’s leiser.« Harry griff nach der Fernbedienung, und die Musik erstarb. »Also, was ist sie?«, fragte er. »Ein Kind oder ein Zwerg?«
»Schwer zu sagen. Tom hat mir auf einer Messlatte gezeigt, wie groß sie seiner Meinung nach ist. Ungefähr eins vierzig, damit wäre sie so groß wie ein acht- oder neunjähriges Kind. Aber wenn Joes
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