Bluternte: Thriller
schreckliche Angst, dass er Ebba aus den Augen verlieren und dann in der klammernden, kriechenden Finsternis ganz allein zurückbleiben könnte. Er hatte keine Ahnung, wie groß der unterirdische Raum war, durch den er stürmte, er konnte die Wände nicht sehen. Nicht, dass er danach Ausschau gehalten hätte. Sein Blick war fest auf das Mädchen vor ihm geheftet.
Jedes Mal, wenn Tom versucht war umzukehren, zwang er sich, an seinen Bruder zu denken. An Joe, von dem er manchmal gedacht hatte, er sei auf die Erde geschickt worden, um ihm das Leben schwer zu machen. Der vom Tag seiner Geburt an eine absolute Last gewesen war, der immer bekam, was er wollte, und den er im Geiste mindestens einmal die Woche um die Ecke gebracht hatte. An Joe, ohne den er den Rest seines Lebens nicht würde weiterleben können, das glaubte er ganz fest.
Eine Mauer ragte vor ihnen auf, und Ebba schoss durch einen Torbogen hindurch. Tom folgte ihr, ehe er dazu kam, sich zu fragen, ob das eine gute Idee war oder nicht. Nichts von all dem hier war eine gute Idee, wahrscheinlich war es die schlechteste Idee, die er in seinem ganzen Leben jemals gehabt hatte, aber dieses sonderbare Geschöpf da vor ihm hatte den Schuh seines Bruders.
Sie balancierte auf einer umgekippten Kiste und griff nach irgendetwas an der Decke. Dann sah Tom Licht durchschimmern. Einen Augenblick später kauerten er und Ebba in der Kirche. Von dem Polizisten war nichts zu sehen. Die Tür zur Sakristei war fest geschlossen. Dann war Ebba wieder auf den Beinen und sauste den Mittelgang hinauf, auf die Rückseite der Kirche zu.
Tom war nicht im Haus. Alice hatte recht gehabt, und Evi hatte kostbare Zeit verloren. Nicht einmal ein Telefon hatte sie gesehen. Und auch von Alice hatte sie jetzt schon seit etlichen Minuten nichts mehr gehört. Sie musste wieder nach unten und die Polizei anrufen. Die Beamten könnten in wenigen Minuten hier sein. Sie würde ihr Handy benutzen – es lag draußen in ihrem Wagen.
Als sie auf die Haustür zuhinkte, knallte diese zu. Erschrocken fuhr sie zusammen und nahm sich einen Moment Zeit, um wieder zu Atem zu kommen. Noch immer wehte ein kalter Wind durchs Haus. Dann schlug die Wohnzimmertür zu.
Sie ging über den Flur und stieß sie wieder auf. Das Fenster am anderen Ende des Zimmers stand weit offen. So schnell sie konnte, hastete Evi durchs Zimmer und beugte sich hinaus. Von Alice war im Garten nichts mehr zu sehen.
»Tom!«, rief Evi.
Der Junge antwortete nicht, und das hatte Evi auch nicht erwartet. Tom war fort. Eine Reihe deutlicher Fußabdrücke, die durch den Garten auf die Friedhofsmauer zuführten und viel zu klein waren, um von einem Erwachsenen zu stammen, war der unwiderlegbare Beweis dafür.
Evi beugte sich noch weiter hinaus und betrachtete den Boden genauer. Eine zweite Fußspur zog sich direkt neben der des Jungen durch den Schnee. Obwohl sie genau wusste, wie sehr das schmerzen würde, setzte Evi sich aufs Fensterbrett, zog die Beine hoch und drehte sich herum, bis sie sich in den Garten gleiten lassen konnte.
Schon begann der Schnee die Spuren zuzudecken. In weniger als einer Stunde würden sie kaum noch zu sehen sein. Jetzt jedoch waren sie deutlich zu erkennen. Vor nicht allzu langer Zeit war jemand von der Mauer her durch den Garten gekommen und dann denselben Weg zurückgegangen und hatte Tom mitgenommen. Toms Spuren waren sauber und gleichmäßig und zeigten durch nichts an, dass er mitgezerrt oder gezwungen worden wäre. Evi betrachtete die zweite Spur. Die Abdrücke hatten die Größe eines Erwachsenen, wenngleich sie nicht riesengroß waren, und unterschieden sich erheblich von den gerippten, gemusterten Abdrücken, die die Sohlen von Toms Turnschuhen hinterlassen hatten. Evi konnte den Umriss eines großen Zehs ausmachen, die Wölbung eines Spanns. Das hier waren Spuren von jemandem, der keine Schuhe trug.
Tom war mit Ebba gegangen.
Beim vierten Schlag gab die Tür nach, und Harry packte Gareth an der Schulter, um ihn davon abzuhalten, blindlings hineinzustürmen. »Das Bohrloch«, erinnerte er.
Dann schob er sich vor den anderen und leuchtete die kleine Steinhütte mit der Taschenlampe ab. Sie bestand nur aus einem einzigen Raum, ungefähr vier Meter lang und drei breit. Als er nach oben schaute, konnte er die Dachbalken beinahe berühren. Ein großer Ring war in den Mittelbalken geschraubt worden. Unter ihren Füßen waren Kieferndielen.
Gareth drängte sich herein, stampfte mit dem Stiefelabsatz
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