Blutfehde
beladen mit Beton - löste sich und kam den Hang herabgesaust. Hassett hatte nicht die geringste Chance. Er wurde wie eine Ameise in das Gestein gedrückt.«
»Und Sie?«
»Ich stand mit meiner Kelle auf einer Leiter. Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist das Geräusch, als dieses verdammte Ding auf mich zuraste.«
»Konnten Sie denn nicht -«
»Aus dem Weg springen? Vergessen Sie’s, mein Sohn. Wohin denn? Ich hatte mich bereits ganz flach an die Wand gedrückt.« Phin stellte die Flasche unter die Bank und legte den Kopf in die Hände.
Mike schluckte. »Also hat es Sie auch erwischt?«
»Ich erinnere mich an nichts. Ich sehe dieses verdammte Ding die Schienen heruntersausen, schneller und immer schneller, mit einem schrillen Kreischen wie eine Todesfee. Mehr weiß ich nicht, und dafür danke ich Gott. Die Ärzte sagen, dass ich mich nie daran erinnern werde, so wie das Gehirn funktioniert. Der Betonmischwagen ist anscheinend in meine Leiter gekracht und hat mich gegen die Tunnelwand gedrückt.« Phin schwieg eine Weile. »Kein Licht, kein Ton, bis ich selbst einen von mir gab. Ich hörte nur meine eigenen Schreie, sonst nichts.«
»War jemand da, der Ihnen helfen konnte?«
Er blickte zur Seite. »Duke Quillian. Er war der Erste, der bei mir war. Der Erste, den ich sah, als ich wieder zu mir kam. Er kam nicht mal ganz an mich ran, weil er den Betonmischwagen nicht zur Seite schieben konnte. Dazu hätte man einen Mastenkran gebraucht.«
»Wo war Dukes Vater? Er sollte doch die Aufsicht führen?«
»Er fuhr im Aufzug nach oben, um Hilfe zu holen. Das hat er zumindest gesagt. Es schien ewig zu dauern.«
»Und Sie…?«
Phin rieb sich den linken Oberschenkel, während er weitersprach. »Es war stockdunkel dort unten. Die Glühbirnen waren genauso wie Hassett alle zerdrückt worden. Aber mein linkes Bein war hinter dem Waggon eingeklemmt, und ich hatte von oben bis unten eine klaffende Wunde.« Phin fuhr mit der Hand zum Unterschenkel hinab. »Ich konnte das Blut nicht sehen, aber ich fühlte, wie es aus mir raussickerte und mein Bein hinablief, außerdem konnte ich es riechen.«
Mike senkte den Kopf. »Was hat Duke getan?«
Phin sprach lauter und tippte mit den Fingern an seinen Stock. »Man könnte wohl sagen, dass er mir das Leben gerettet hat, falls es das ist, was Sie hören wollen, was Sie der kleinen Trish Quillian sagen wollen. Duke tat, was ich ihm befahl. Zuerst warteten wir ewig auf einen Krankenwagen, vielleicht vier Minuten, vielleicht sechs. Mir wurde immer schwindeliger, aber ich wusste, dass ich verdammt noch mal nicht in diesem Loch sterben wollte. Ich habe mein ganzes Leben der Tunnelgräberei geopfert, und ich wollte ganz bestimmt nicht in einem dieser Dinger verbluten. «
»Was haben Sie also -«, fragte ich.
»Ich bat Duke um eine Taschenlampe, eine Flasche Bier und ein Messer. Es dauerte ein paar Minuten, bis er zu meiner Lunchbox hinauflief und wieder zurückkam.« Phin sprach jetzt langsamer und klopfte mit dem Stock auf den Boden. »Ich trank so viel Bier, wie ich konnte, richtete den Lichtstrahl auf mein Bein und steckte den Flaschenhals in den Mund. Dann befahl ich Duke, mir den eingeklemmten Teil des Beins abzuschneiden.«
Weder Mike noch ich konnten etwas sagen.
»Er sägte mir die Ferse und einen Teil meines Fußes ab.« Phin hob sein linkes Knie mit beiden Händen, sodass der schwarze Lederslipper vom Fuß glitt und eine Prothese zum Vorschein kam.
Mike wollte etwas sagen, wie tapfer Phin gewesen sein musste, aber der alte Tunnelarbeiter winkte ab.
»Bier ist als Betäubungsmittel nicht zu empfehlen, junger Mann. Es half rein gar nichts. Als ich auf die Flasche biss, um den Schmerz zu bekämpfen, zerbrach das Glas und ein großer Splitter bohrte sich in meinen Gaumen. Das lenkte mich eine Weile von meinem Fuß ab, das können Sie mir glauben.«
Phin Baylor lehnte Mikes Angebot ab, ihm aufzuhelfen, stützte sich auf seinen Stock und humpelte zum Rand des Wehrgangs.
»Duke hat mich lebend aus dem Loch rausgeholt, um mehr hatte ich ihn nicht gebeten. Den Rest des Beins habe ich im Krankenhaus verloren. Es war nicht mehr zu retten.«
»Die Hassett-Jungs irren sich, was Duke angeht, oder?«, fragte Mike. »Er war nicht schuld am Tod ihres Vaters?«
»Jetzt stellen Sie mir aber zwei ganz verschiedene Fragen, stimmt’s, Mike?« Phin sah zu einem Flugzeug hinauf, das sich im Landeanflug auf den LaGuardia Airport befand. »Sie wollten wissen, ob Duke mir das Leben
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