Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Donner in der Luft dröhnte. Zehn Sekunden, also war das Gewitter mehr als drei Kilometer entfernt. Wo bleibt nur der Regen? , dachte er. Die Farbe des Himmels, der Druck der Wolken – es konnte nur noch Sekunden dauern, bis es wie aus Eimern gießen würde – große, dicke Tropfen, wie in einem Film. Er hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da traf auch schon der erste fette Tropfen die Windschutzscheibe. Und noch ein Tropfen. Dann noch einer und noch einer. Er begann wieder zu zählen, kam bis vier. Da öffnete der Himmel seine Schleusen. Die Straße war binnen weniger Sekunden überschwemmt. Die Fenster beschlugen.
Er startete den Motor, drehte das Gebläse voll auf und ließ die Scheibenwischer gleichmäßig und rhythmisch von einer Seite zur anderen streichen. Das Geräusch seines Motors musste durch die Wände gedrungen sein, denn durch den starken Regen, den aufsteigenden Dampf vom Boden und das von den Autodächern rundherum aufspritzende Wasser konnte er eine Hand erkennen, die die Gardine ein klein wenig zur Seite zog.
Die Hand verschwand. Die Gardine hing wieder ganz still.
Mit geschlossenen Augen sah er den Bogen ihres Rückens vor sich, die Sinuskurve über ihrem Hintern, hinunter zu den runden Oberschenkeln. Den schwarzen Blick, den sie ihm über die Schulter zugeworfen hatte.
Er öffnete die Augen. Ein dunkler Geländewagen mit getönten Scheiben fuhr vor und blieb mitten auf der Straße stehen, den Motor im Leerlauf.
Weshalb stand das Auto dort, mitten auf der Straße? Schwarze Scheiben, rote Rücklichter und Auspuffgase, die den Asphalt entlang- und an der Karosserie hinaufstrichen.
Das Vorfahren des Wagens führte zu einer Reaktion im Schlafzimmer. Sie schaute hinaus. Betrachtete das Auto. Sekunden später bewegte sich die Gardine, und das Licht wurde gelöscht. Im selben Moment fuhr der Wagen mit enormer Geschwindigkeit los.
Frank Frølich zögerte nur eine Sekunde, dann fuhr er hinterher.
Wegen des starken Regens war es unmöglich, das Nummernschild zu lesen. Die roten Rücklichter waren das Einzige, was er erkennen konnte. Der Wagen bog schon bald links ab und fuhr am Fluss entlang in Richtung Iladalen zu einem um diese Tageszeit einsamen und verlassenen Gewerbegebiet. Er folgte, mit reichlich Abstand. Auf dem löchrigen Asphalt sammelte sich der Regen in kleinen Seen. Andere Wagen waren nicht zu sehen. Sie fuhren über eine Reihe von leeren Parkplätzen. Jetzt musste der Fahrer vor ihm bemerkt haben, dass ihm jemand folgte. Als das Auto um eine Ecke verschwand, hielt Frølich an und schaltete den Motor und das Licht aus. Er wusste, dies war eine Sackgasse. Der Wagen musste also wieder zurückkommen. Er lehnte sich zurück und wartete.
Wieder fragte er sich: Was mache ich hier? Welchen Sinn hatte es, einem Wagen zu folgen, von dem er nichts wusste?
Er rekapitulierte die Situation noch einmal. Ihre Hand an der Gardine, ihr flüchtiger Blick, das Löschen des Lichts.
Sie hatte Angst gehabt.
Am anderen Flussufer leuchteten die Straßenlaternen wie eine Kette. Die beschlagenen Scheiben erzeugten den Eindruck, als stünde er im Nebel. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war beinahe ein Uhr nachts. Die Zeit verstrich. Aber der Wagen kam nicht zurück. Keine Menschenseele war zu sehen. Er wartete noch vier lange Minuten, ehe er die Tür öffnete und ausstieg. Der Regen hatte nachgelassen, und das Geräusch des leichten Nieselregens mischte sich mit dem Geplätscher des Akerselva, dem Rauschen der Bäume und dem des Straßenverkehrs jenseits der Häuser. Von irgendwo weit her waren das Gelächter und Gegröle von Jugendlichen zu hören. Er bewegte sich auf die Ecke zu. Zögerte, schaute. Dort stand der Wagen, offenbar leer und verlassen. Er ging darauf zu. Tatsächlich. Er war leer. Frank Frølich überprüfte die Türen – abgeschlossen. Er sah sich um. Menschenleere Gebäude und dunkle Fenster. War er einem Ablenkungsmanöver zum Opfer gefallen? Er sah sich noch einmal um. Sah die Dächer der Häuser hinter der Böschung am anderen Ufer des Flusses. Er spürte, wie es ihm langsam eiskalt den Rücken hinunterlief.
Man hatte ihn ausgetrickst.
Sie waren einen großen Kreis gefahren.
Die Tropfen liefen ihm über die Nase. Die Haare klebten an seiner Stirn, als er zum Auto zurücklief.
47
Maria Hoff wagte nicht, ins Bett zu gehen. Sie saß in ihrem Sessel und starrte das Telefon an. Seit dem ersten Anruf waren zwei Stunden vergangen, und er war nicht misszuverstehen gewesen.
Ihr
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