Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
Blick wanderte vom Telefon zur Tür. Sie war angelehnt. Draußen im Flur war es dunkel. Einen Augenblick dachte sie, dort stünde jemand – im Flur, und starrte sie an.
Da klingelte es an der Tür.
Er ist hier!
Sie wurde leichenblass. Ihre Arme wurden schlaff, ihre Haut taub.
Das Echo der Klingel blieb im Raum hängen. Das hier ist kein Alptraum. Es hat geklingelt.
Sie schloss zweimal die Augen und öffnete sie wieder. Stand auf. Wischte sich die feuchten Hände am Rock ab. Wie in Trance bewegte sie sich auf die Tür zum Flur zu.
Im dunklen Flur blieb sie stehen und starrte auf die Haustür. Sollte sie Licht anmachen? Nein. Das Licht würde ins Treppenhaus dringen. Dann wüsste er, dass sie zu Hause war, dass sie hier stand – und nur eine dünne Tür sie trennte.
Als es zum zweiten Mal klingelte, gaben ihre Beine fast unter ihr nach. Sie streckte den Arm aus, um sich an der Wand abzustützen. Räusperte sich. Hörte ihre eigene Stimme sagen: »Wer ist da?« Es klang wie ein Flüstern. Sie versuchte es noch einmal mit kräftigerer Stimme: »Wer ist da?«
Kein Laut war zu hören.
Aber er war da draußen, vor der Tür. Sie konnte es am ganzen Körper spüren.
Im selben Moment schrak sie zurück, als ein splitterndes Krachen ertönte. Die Tür erzitterte im Rahmen. Wie gelähmt erkannte sie in der Tür neben dem Schloss einen Spalt. Die Tür knarrte und bewegte sich. Er war dabei, sie einzuschlagen!
Die Tür erzitterte wieder. Es krachte erneut, als das Pressholz in Stücke gerissen wurde. Sie zuckte zurück, drehte sich um und rannte ins Schlafzimmer. Am Bett vorbei. Zum Fenster. Tastete im Dunklen nach den Griffen. Ihre Hände zitterten. Hinter ihr ertönte das Geräusch berstenden Holzes. Das Fenster schlug auf. Ein sanfter Hauch von Nachtluft strich über ihre Arme. Regentropfen auf den Händen. Sie hob erst das eine Bein, dann das andere. Sprang auf den schmalen Grasstreifen vor dem Bürgersteig. Hielt inne. Matsch. Sah sich um. Nirgends ein Mensch zu sehen. Das Licht von der Eingangstür warf flache Schatten.
Er ist gleich drin. In ein paar Sekunden hat er mich entdeckt.
Sie schlich sich an der Hauswand entlang. Versteckte sich hinter den Büschen vor dem Eingang. Es roch nach Urin, Erde und Abfall.
Ein Geräusch. Sie drehte den Kopf herum. Die Garagentür öffnete sich, rollte scheppernd hoch. Der Lichtkegel eines Autos wanderte über die Innenwand und legte sich dann auf den Asphalt. Sie warf sich nach vorn. Wollte den Wagen anhalten, der aus der Garage kam. Konnte gerade noch mit einer Hand auf die Windschutzscheibe schlagen. Erhaschte einen verschreckten Blick aus dem Wageninneren. Der Fahrer gab Gas und der Wagen verschwand. Sie drehte sich um sich selbst. Das Garagentor senkte sich wieder. Sie sprang hinein. Sekunden später war das Tor geschlossen.
Sie rang in der stockfinsteren Dunkelheit nach Luft. Tastete. Erreichte die Wand. Suchte mit den Fingern nach dem Lichtschalter. Fand ihn. Die Lichtröhren entlang der Kellermauern sprangen mit blassem Flackern an. Der matte Lack der Autodächer reflektierte das diffuse Licht. Die Belüftungsanlage dröhnte. Sie ging langsam zu ihrem Wagen. Keine Autoschlüssel, kein Handy. Kein Ausweg .
Das spielte jetzt keine Rolle. Sie konnte warten. Warten, bis er verschwand. Und sich dann zurückschleichen.
Sie drehte sich zum Tor herum. Entdeckte ihre eigenen Fußspuren. Regenwasser und Matsch. Wenn er jetzt reinkommt, findet er mich .
In dem Moment hörte sie es: das Geräusch, was sie nicht hören wollte. Das Garagentor öffnete sich.
Sie verharrte zwischen zwei Autos. Ging in die Hocke, sah unter dem Auto hervor.
Das Tor stand jetzt ganz offen. Aber kein Autoscheinwerfer warf sein Licht an die Wand. Sie kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen. Zwei Beine. Zwei Joggingschuhe und darüber dunkle Jeans. Ein Mann bewegte sich auf sie zu. In seiner Hand schaukelte ein riesiges, rotes Brecheisen.
Sie warf einen blitzschnellen Blick auf ihren eigenen Wagen. Drei Plätze entfernt.
Die Gestalt blieb stehen.
Er musste die Spuren ihrer nassen Füßen sehen.
Ein schepperndes Geräusch sagte ihr, dass sich das Tor wieder schloss. Und zwar ganz. Sie waren allein.
Frank Frølich ging mit raschen Schritten auf die Eingangstür zu und nahm die kleine Treppe mit zwei Sprüngen. Nur wenige Sekunden stand er reglos und betrachtete die zersplitterte Tür. Sie stand halb offen. In der nächsten Sekunde war er in der Wohnung. Alles deutete darauf hin, dass die
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