Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)

Titel: Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Ola Dahl
Vom Netzwerk:
überquerte die Wiese, stapfte durch kniehohe Blumen auf die geteerte Hütte mit den rot gestrichenen Fensterläden auf beiden Seiten der kleinen Sprossenfenster zu. Die Eingangstür war eine ebenfalls rot gestrichene, zweigeteilte Stalltür. Jeder Teil der Tür war mit einem Hängeschloss versehen. Er drückte das Gesicht gegen eine Fensterscheibe und sah hinein. Der Raum hatte eine niedrige Decke, und er erkannte vage die Konturen von alten, handgearbeiteten Möbeln: ein Stuhl aus einem Baumstamm, ein Esstisch, ein Schrank mit Bauernmalerei.
    Er hielt die Hände neben sein Gesicht und spähte durch das nächste Fenster. Erkannte die Umrisse eines Etagenbettes. Als er sich zurückzog, sprang das Fenster auf. Die Schließhaken waren nicht eingehakt. Er öffnete das Fenster weit, stemmte sich hoch und kletterte hinein.
    Er befand sich in einer Kammer mit zwei Etagenbetten. Eine Tür führte in die Küche. Der Esstisch war abgeräumt. Der Holzfeuerherd war von der altmodischen Sorte, mit gusseisernen Ringen in den Kochplatten. Ein vergessener brauner Ziegenkäse lag auf dem Tisch. Er hatte schon eine dunkelbraune Kruste. Daneben lag ein Brotmesser mit Butterresten an der Klinge.
    Irgendjemand war hier gewesen, vor wenigen Tagen, und hatte gegessen. Jemand hatte die Schlüssel für Welhavens Auto und die Hütte gehabt. Jemand, der die Hütte verlassen hatte, aber nicht wieder in die Stadt gefahren war. Die Bandbreite der möglichen Ausgänge von Welhavens geheimnisvollem Verschwinden wurde langsam geringer.
    An der Wand hing ein Schwarz-Weiß-Foto: eine Familienidylle zu Ostern in den Bergen: Skier, Stöcke, Rucksäcke, Thermoskannen, Apfelsinenschalen, eine Mutter, ein Vater, zwei Kinder.
    Er riss sich los und begann, Schubläden und Schränke in der Küche zu durchsuchen. Er öffnete eine Luke im Boden und sah hinunter auf ein in Papier verpacktes halbes Brot, eine Packung Butter, ein halbleeres Glas Himbeermarmelade und einen Milchkarton. Er griff nach der Milch und suchte nach dem Haltbarkeitsdatum – vor zwei Tagen abgelaufen. Das Brot war trocken.
    Die Betten in der Kammer waren ordentlich gemacht. Unter dem Fenster stand ein Bücherregal; eine alte Apfelsinenkiste. Die Buchtitel weckten sein Interesse: Johannes Lids Norwegische und schwedische Flora , Nordhagens Norwegische Flora , Knut Fægris Norwegische Flora in zwei Bänden. Ove Arbos Høegs Pflanzen und Tradition in acht Bänden. Das waren Klassiker. Er beugte sich hinunter und zog das dicke Buch von Nordhagen heraus. Mehrere Blumen lagen gepresst zwischen den Blättern des Buches: Fettkraut, eine verblasste Küchenschelle und ein paar Sumpfdotterblumen.
    Er blätterte ganz nach vorn. Der Name des Besitzers stand mit hellem Bleistift auf der Titelseite. Emma Welhaven . Welhavens verstorbene Ehefrau musste ein außergewöhnliches Interesse für Blumen gehabt haben. Gunnarstranda blieb einen Moment lang nachdenklich auf den Knien hocken. Ein merkwürdiges Gefühl hatte ihn ergriffen. Er ging zurück in die Küche und betrachtete noch einmal das Familienfoto. Emma Welhaven . Eine schöne Frau. Mit einem Lächeln im Gesicht, getarnt durch Mütze und Sonnenbrille. Hatte er sie schon einmal gesehen? Er betrachtete ihre Zähne, dachte nach, ließ seinen Blick zum Gesicht des Mannes wandern. Arne Werner Welhaven .
    Er ging in die Kammer zurück, hob den Bettüberwurf und die Bettdecke hoch. Er öffnete die Schreibtischschublade. Dort lag ein in Leder gebundenes Tagebuch. Es wirkte ganz neu, fast unberührt. Er schlug es auf und las zwei Zeilen: gegen Lügen mit Lügen . Und darunter: unmöglich . Die Worte waren mit klarer, leicht schräger Schreibschrift geschrieben. Abgesehen davon waren sämtliche Seiten des Buches leer. Kein Wort, nichts stand darin, außer den fünf Worten in zwei Zeilen:
    Gegen Lügen mit Lügen.
    Unmöglich.
    Ein weißer Zettel fiel aus dem Buch heraus. Eine Quittung. Buchhandlung Norli im Bogstadveien. Vom 29. Juli. Das war, eine Woche bevor Fride Welhaven ihren Vater als vermisst gemeldet hatte.
    Gunnarstranda hob den Kopf und sah aus dem Fenster auf die flache Hochebene. Eine Moorlandschaft in verschiedenen Grüntönen, durchbrochen von Felsen und Hügeln, die an längst erloschene Vulkane erinnerten. Er konnte zwei, vielleicht drei blaue Bergrücken vor dem Horizont schimmern sehen. Er dachte: Entweder ist Welhaven verunglückt, oder er hat sich etwas angetan . Hatte jemand ihn ermordet? Lag er einsam und tot – irgendwo dort

Weitere Kostenlose Bücher