Blutfeinde: Norwegen Krimi (German Edition)
nicht nach Klatsch und Tratsch zumute. Er ging hinaus auf den Flur. Kam an einer offenen Tür vorbei. In einem Computerraum saß Petter Bull. Sie begrüßten sich. »Du lässt nicht locker?«, fragte Frølich, einfach um etwas zu sagen.
Bull nickte, den Blick starr auf den Bildschirm geheftet. »Die Leute vom Sonderdezernat fragen jeden Einzelnen von uns, was wir nach der Freilassung von Darak Fares getan haben, und zwar Stunde für Stunde. Dann kann ich es auch gleich aufschreiben.« Er blickte auf, und ein Grinsen breitete sich auf seinem fleischigen Gesicht aus. »Wie die Anwälte es dir raten: Halte dich an eine einzige Erklärung, egal was passiert.«
In dem Moment ging die Tür auf. Emil Yttergjerde kam heraus. Er atmete tief durch. »Du bist dran, Petter«, sagte er.
Petter Bull stand auf. »Ich drucke das hier nur eben aus.« Er drückte auf eine Taste. Der Drucker ratterte. Ein Bogen wurde ausgeworfen. Petter Bull griff danach, verschwand damit durch die Tür, aus der Yttergjerde gekommen war, und schloss sie hinter sich.
Frank Frølich setzte sich an den Computer. »Wie ist die Form?«, fragte er Yttergjerde.
»Tendenz steigend.« Yttergjerde zog seine Jacke an. »Bin zwar spät dran, aber Mann, was für ein Glück, dass wir am Freitagabend das Taxi genommen haben.«
Frank Frølich nickte und konzentrierte sich auf den Bildschirm. Petter Bull hatte natürlich vergessen, sich auszuloggen. Er wollte Bull schon den Gefallen tun, als ihn plötzlich der Teufel ritt. Wenn Petter Bull etwas von den Ermittlungen gegen seine Zeugen im Fall Welhaven dokumentiert hatte, dann war dies eine blendende Gelegenheit, es herauszufinden. Er klickte die Liste von Bulls Dateien an.
Aber es war ein hoffnungsloses Unterfangen. Petter Bull war genauso wie die meisten Menschen. Er speicherte seine Dateien ohne jedes System ab. Es war ein Durcheinander von Namen und Stichwörtern. Frølich öffnete eine beliebige Datei. Es handelte sich um einen Widerspruch gegen die Reststeuer des vergangenen Jahres.
Frank Frølich überlegte und kam schließlich darauf, dass es noch eine Chance gab: die Speicherung der Dokumente nach Daten zu überprüfen. Er klickte sich in den Dateiordner ein und erhielt eine Übersicht über Petter Bulls elektronisches Leben bei der Polizei.
Da entdeckte er es.
Es war kein Dokument, kein Text. Nur ein Ordner. Der Name des Ordners: IK-Fotos .
Der Ordner enthielt zahlreiche Bilddateien. Automatisch begann er, die Fotos aufzurufen: Naturbilder, die Silhouette eines Elchs vor einem orangen Vollmond, ein verwittertes Gebirgsmassiv mit Aussicht, nächstes Bild: eine Frau mit einem Knebel im Mund, auf einem Stuhl sitzend, mit einem Seil gefesselt, das tief in ihre Haut einschnitt.
Frølich holte tief Luft. Er blickte zur Tür hinüber, durch die Bull vor einigen Minuten verschwunden war. Wandte sich wieder dem Bildschirm zu: IK-Bilder . Keine Frage, wer der Fotograf war.
Was sollte er tun? Es gab eigentlich nicht viel zu überlegen. Die Frage war nur, ob er jetzt sofort Alarm schlagen sollte – oder warten, bis Bull wieder herauskam, und eine Erklärung verlangen. Schließlich entschied er sich. Er hob den Telefonhörer und wählte die Nummer von Rindal.
28
Im Herregårdskroa waren keine weiteren Gäste. Das Wetter war unsicher. Der Kies zwischen den Tischen war feucht von einem Regenschauer, und die Kinder, die unter den Laubbäumen im Frognerpark Fahrrad fuhren, trugen Joggingschuhe und lange Hosen. Sie saßen im unteren Pavillon, mit Aussicht über den Frognerelva, die Wiesen und die Talsenke, die den Park von den Villen in der Madserud Allé trennte.
»Papa ist in einer Wohnung ohne Bad groß geworden, mit einem Ausguss in der Küche und dem Klo auf halber Treppe –«
Gunnarstranda nickte. »Ja, ich kenne das.«
»Ich bin in Holmen aufgewachsen. Ganz anders. Eigenes Zimmer in eigenem Haus, Fußbodenheizung. Der Definition nach glücklich – den Aufgeklärten zufolge.«
Gunnarstranda sah sie an. Er unterdrückte den vorwitzigen Teufel, der in seiner Kehle nach oben drängte. Es war schwierig – er hatte keinen Tabak und konnte nicht rauchen, um den Teufel abzulenken.
Sie saß einen Moment in Gedanken versunken da, dann sagte sie: »Dort zu wohnen war manchmal hoffnungslos einengend. Als ich in der Mittelstufe war, wurden in der Njårdhalle eigene Weihnachtsbälle veranstaltet, ausgewählte Jungen trafen ausgewählte Mädchen – ein regelrechtes mating , bei dem es darauf ankam,
Weitere Kostenlose Bücher