Blutfeuer
soeben Erlebten
sichtlich mitgenommen. Haderlein griff ihn am Hemdsärmel und zog ihn mit sich
in eine Ecke des provisorischen Scheunenlabors.
»Dann erzählen Sie mal, Huppendorfer«, ermunterte Haderlein seinen
jungen Kollegen, während er ihn sanft auf einen Stuhl drückte und sich ihm
gegenübersetzte.
Huppendorfer kam der Bitte dankbar nach und blätterte mit zitternden
Fingern in seinem Notizblock. Er erzählte Haderlein von seiner Verfolgungsjagd
durch die Stadt, seiner Unschlüssigkeit über das weitere Vorgehen, als er durch
das Fenster gesehen hatte, und schließlich von seinem Eindringen in die
Scheune. Dass er Leonhard Pechmann mit seinem Roller hatte entkommen lassen,
bereitete ihm im Nachhinein offensichtlich zusätzliche Bauchschmerzen.
Haderlein legte dem emotional aufgewühlten Kollegen beruhigend seine
Hand auf die Schulter. »Ich hätte ganz genauso gehandelt, machen Sie sich jetzt
mal bloß keine Vorwürfe.«
Huppendorfer schaute ihn dankbar an, dann fuhr er fort. Was er nun
schildern wollte, fiel ihm sichtbar schwer. Mehrmals musste er unterbrechen,
weil seine Stimme zu brechen drohte, und sein Blick floh von einer Ecke des
Raumes zur anderen. »Er saß mir genau gegenüber, so nah wie Sie jetzt, Chef«,
erzählte er, und seine Hände standen nicht still. »Dann hat er gesagt, er würde
gleich sterben, und ich solle mir das Folgende gut merken. Ich hab mir alles
aufgeschrieben.« Seine Lippen zitterten wieder. »Dieser Pechmann hatte ihm
Kalium gespritzt, ich konnte ihm nicht mehr helfen. Davor hat er noch das Blut
von einer dieser orangefarbenen Leichen untersuchen können. Er sagte etwas von
Plasmodien, die alles auslösen würden. Wir sollen einen Spezialisten holen, der
sich die Blutprobe da noch einmal vornimmt.«
Dabei deutete er mit einer schwachen Handbewegung auf das
Elektronenmikroskop, das einsam und verlassen auf dem Labortisch thronte.
»Es ist das ›Yellowstone-Experiment‹, hat er gesagt. Wir müssen
›Yellowstone‹ stoppen und einen Experten holen.« Huppendorfer schwitzte. »Dann
hab ich gemerkt, wie sich sein Blick verändert hat, und er begann zu weinen.«
Haderlein konnte sehen, wie sich Huppendorfer zusammennehmen musste.
Erst nach einer Weile konnte der junge Kommissar fortfahren. »Er
sagte, seine Frau sei tot, erschossen, und seine Tochter Theresa entführt. Wir
sollen Theresa finden, sagte er noch zu mir, aber ich konnte ihn schon fast gar
nicht mehr verstehen. Er war sich sicher, dass sie noch lebt. Dann flüsterte er
noch, wir sollen Gimli suchen. Wenn wir ihn finden, dann finden wir auch
Theresa. Und etwas Undeutliches von Minen hat er auch noch gemurmelt. Von Mora
oder Bora, ich hab’s wirklich nicht mehr genau verstehen können. Und dann …«,
seine Stimme stockte, »dann hat er mich noch kurz angesehen, komisch gelächelt,
seine Augen wurden trüb, und sein Kopf ist nach vorn gefallen.« Huppendorfer
lehnte sich erschöpft zurück und war unendlich froh, die Geschichte losgeworden
zu sein.
Haderlein sprach ihm noch etwas Mut zu und bedrängte ihn nicht
weiter. Der gute Huppendorfer musste erst einmal verkraften, einem Menschen
hilf- und machtlos beim Sterben zugesehen zu haben. Das konnte einen schon übel
niederdrücken, das wusste Franz Haderlein aus eigener Erfahrung. »Also gut«,
meinte er leise zu ihm. »Sie schnappen sich jetzt eine Streife und verschwinden
von hier. Besorgen Sie sich einen Haft- und Durchsuchungsbefehl und stellen Sie
die Bude von diesem Pechmann im Hain auf den Kopf. Alles klar?« Der
Hauptkommissar gab ihm einen Klaps auf den Rücken und erhob sich.
Als er draußen vor der Tür stand, musste sich auch bei ihm erst
einmal einiges setzen. Also gab es jetzt zwei weitere Leichen, wovon die von
Gerlinde Rosenbauer eventuell bereits beseitigt worden war. Dazu kam die
Entführung der sechsjährigen Theresa Rosenbauer. Ihr Vater war wohl damit
irgendwie erpresst worden. Die medizinische Analyse der Blutprobe musste sich
ein Spezialist vornehmen, da hielt der Hauptkommissar sich mit Spekulationen
zurück. Was ihn viel mehr verunsicherte, waren die letzten Worte des armen
Opfers: »Sucht Gimli, und ihr werdet Theresa finden.«
Wer oder was zum Teufel war Gimli? Die Minen von Mora? Was sollten
diese nebulösen Andeutungen? Wieder kroch ihm dieses seltsam unheimliche Gefühl
unters Hemd. Irgendetwas an diesem Fall lag ganz und gar außerhalb seines
normalen kriminalistischen Gespürs, für das er eigentlich bekannt war. Wo war
sie
Weitere Kostenlose Bücher