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Blutfeuer

Titel: Blutfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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Sommer, und sie wollte mit ihren Freunden spielen. Außerdem
waren doch noch gar keine Ferien in Bayern, sie musste den restlichen Juli noch
in die Schule. Der kleine Mann hatte gesagt, dass ihre Eltern etwas sehr
Wichtiges zu erledigen hätten, aber das war nun auch schon wieder zwei Tage
her. Als sie versucht hatte, die Tür zu öffnen, musste sie feststellen, dass
sie verschlossen war. So etwas hatten ihre Eltern noch nie gemacht. Selbst wenn
sie etwas ganz Schlimmes angestellt hatte und Zimmerarrest angesagt gewesen
war, hatten sie nie die Tür verschlossen. Mama war zwar sehr streng, doch so
etwas hätte sie nie gewagt. Und wenn, hätte Papa sie sowieso bald wieder
befreit. Ihr Papa konnte es nicht besonders lange mit ansehen, wenn sie
bestraft wurde. Irgendwann, wenn sie lange genug geweint hatte, kam er ins
Zimmer und hob sie auf seinen Arm. Das war das Schönste, wenn Papa zu ihr kam.
Mama schaute dann zwar immer unheimlich böse und schimpfte, aber Papa redete
dann so lange mit ihr, bis sie sich beruhigte. Sie vermisste ihren Papa und
ihre Mama sehr.
    Traurig schaute sie auf den
weißen Schalter, in dessen Mitte ein kleines, rotes Licht leuchtete. Wenn ihr
etwas fehlte, wenn sie etwas brauchte, sollte sie auf diesen Schalter drücken,
hatte der kleine Mann in seiner holperigen Art zu sprechen gesagt. Aber heute
hatte sie schon mehrmals gedrückt, und er war nicht gekommen. Sie drückte
wieder. Sie war traurig, und sie hatte Hunger. Sie wusste nicht, wie spät es
war, aber sie wurde langsam müde.
    Draußen vor der Tür hörte
sie schnelle, kurze Schritte. Dann ertönte das kurze Summen, das immer zu hören
war, wenn sich die Tür öffnete.
    Endlich. Sie sprang auf. Der
kleine Mann war wieder da. Er hatte Essen dabei und noch etwas, das sie schon
sehr vermisst hatte.
    »Habe Essen für Mädchen«,
sagte er zu ihr und grinste dabei über beide Ohren. »Und Pferd geholt für Theresa.«
Dabei hielt er ein Stoffpferd in Schäferhundgröße in die Höhe und wackelte auf
sie zu.
    Theresa juchzte, umarmte ihn
und drückte ihm dann etwas Kleines, Rosafarbenes in die Hand. Gimli strahlte,
und Theresa kuschelte sich an ihr Pferd. Das Stoffpferd mit dem echten braunen
Fell und der blonden Mähne war ihr unheimlich wichtig. Sie liebte Pferde. Ihr
ganzes Zimmer war mit Postern und Zeichnungen von Pferden aller Rassen
tapeziert, aber das braune Stoffpferd war am allerwichtigsten. Mit ihm musste
sie reden und ihm ihre Sorgen erzählen, bevor sie einschlafen konnte. Und
Sorgen hatte sie im Moment weiß Gott genug.
    »Danke«, sagte sie gerührt.
Dann wurde sie wieder traurig. Der Zwerg war am Anfang sehr grob zu ihr
gewesen, aber dann hatte sie gemerkt, wie er fasziniert auf ihr kleines rosa
Einhorn gestarrt hatte. Die kleine glitzernde Stoffpuppe mit den Flügeln hatte
es ihm offenbar angetan. Sie selbst fand gar nicht mehr so viel an ihr. Rosa
Flügelpferdchen waren wirklich nur noch etwas für Kindergartenkinder. Also
hatte sie dem Zwerg das Einhorn versprochen, wenn er ihr das Lieblingspferd aus
dem Elternhaus holte.
    »Hast du Papa und Mama
gesehen, als du im Haus warst?«, fragte sie den kleinen Mann, der gleich seinen
Kopf schüttelte.
    »Nein, nein, Gimli nicht gesehen.
Haus leer. Gimli rennen, weil Männer fangen.« Dann zog sich wieder das breite
Lächeln über das seltsam verschrumpelte Gesicht. »Aber nicht fangen. Gimli
schnell, Gimli fort.« Er stellte ihr das Essen auf den kleinen Kindertisch und
wandte sich zum Gehen. Schnell griff Theresa seine Hand, und der Kleinwüchsige
drehte sich mit einem Wackeln zu ihr um.
    »Wann kommst du wieder?
Kannst du mir eine Gutenachtgeschichte vorlesen?«
    Der Angesprochene zupfte
verlegen an seinem groben Stoffumhang, bevor er schließlich leise sagte: »Gimli
nicht lesen. Nicht lesen, nicht schreiben. Nur Bilder sehen und singen.« Dann
leuchteten seine Augen hinter den wulstigen Augenbrauen auf. »Gimli singen für
Theresa?« Er schaute sie mit einem schelmischen Gesichtsausdruck an. »Wollen?«
    »Au ja«, sagte Theresa
sofort. Dann dachte sie kurz nach und fragte: »Kann ich nicht mit dir nach
draußen und nach Mama und Papa suchen?«
    Sofort wich der Zwerg zwei
Schritte zurück, und seine Miene wurde finster. »Du müssen hier«, sagte er
streng, und sämtliche Wärme war aus seiner Stimme gewichen. »Gimli passen auf.
Wenn nicht bleiben, sehr, sehr böse.«
    Seine Stimme wurde
schneidend. Er schob den merkwürdigen Stoffumhang etwas auf die Seite, und
Theresa konnte

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