Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
hatte sich schnell nach oben gearbeitet – dass sie sich dabei Feinde gemacht hatte, war nicht zu vermeiden gewesen. Einschließlich ihres ehemaligen Vorgesetzten. Das würde jedenfalls erklären, warum der Brief so vage gehalten war. Ein richtiger Soziopath, dem es um Anerkennung ginge, wäre da sorgfältiger gewesen und hätte sich damit gebrüstet, die Einzelheiten aufzuzählen, die bei der ursprünglichen Ermittlung falsch gelaufen waren. Wer auch immer diesen Brief geschrieben hatte, war offenbar auf etwas anderes aus als Ruhm und Ehre. Er wollte etwas von Lucy. Es war ihm schon gelungen, ihr Angst einzujagen, aber welches Ziel verfolgte er damit? Und was noch viel wichtiger war: Wie groß war die Gefahr, in der ihre Familie schwebte? Walden sprach weiter.
»Greally konnte zwar keinen Schutzgewahrsam anordnen, aber unter keinen Umständen werden Galloway oder Taylor ihre Posten verlassen.«
Ihre Kollegen. Loyal – bis über die Vorschriften hinaus. Sie musste sie beschützen. Sollte etwas schieflaufen, durften sie nicht ins Kreuzfeuer geraten.
»Danke dir, Walden.«
»Danke mir heute Abend. Nick hat mich zum Abendessen eingeladen. Er meinte, du würdest Pizza bei Travanti holen. Ich möchte meine mit Pilzen und schwarzen Oliven.«
Lucy beendete das Gespräch. Für den Abend war ihre Familie in Sicherheit. Aber würde sie es morgen auch noch sein?
Kapitel 3
Fünf Dollar reichten nicht aus, um alles zu kaufen, was auf Adams Liste stand. Also tat er, was er von Anfang an geplant hatte, und klaute die benötigten Sachen. Er tat es nicht gerne, hasste es sogar, vor allem weil er an den halbleeren Regalen und den vereinsamten Gängen erkennen konnte, dass es Mr Cooperman geschäftlich nicht gut ging. Adam schwor sich, alles zurückzuerstatten, sobald er seinen Vater gefunden hatte. Dad hatte immer Geld, das war noch nie das Problem gewesen. Das Problem bestand darin, ihn dazu zu bringen, es auszugeben. Einen Teil der fünf Dollar verprasste Adam für einen Luxusartikel, der ursprünglich nicht auf seiner Liste gestanden hatte: eine Tüte Schokomilch.
Es war beinahe 18.00 Uhr und schon vollkommen dunkel, als er aus dem Supermarkt trat. Der Wind blies durch die enge Straße und kündigte neuen Schnee an. Wenigstens hielten Adam seine diversen Lagen Kleidung warm genug. Bis auf die Hände und Füße. Da war er sich nicht sicher, ob die jemals wieder auftauen würden.
Er hätte ein Auto klauen können, wollte aber kein Risiko eingehen. Schließlich ging es nur um ungefähr anderthalb Kilometer. Er lief auf der Main Street durch das Stadtzentrum. Genau genommen bestand das Stadtzentrum von New Hope nur aus diesen drei Blöcken der Main Street. Dort und im Rest der Stadt war es zwar immer alles andere als betriebsam gewesen, aber der Anblick, der sich Adam jetzt bot, war noch einmal anders. Der Immobilienmakler hatte dichtgemacht. Die Farben auf den Anzeigen, die noch im Schaukasten hingen, waren mit der Zeit und der Sonneneinstrahlung verblasst. Ein Immobilienmakler in New Hope, das war ohnehin ein Witz gewesen. Hendersons Blumenladen war nun ein Café, und von den dunklen Fenstern im zweiten Stock des einhundert Jahre alten Backsteingebäudes her zu schließen, hatten sie entweder ihr Apartment untervermietet oder ihre Pflanzenschule ebenfalls aufgegeben und waren in die nächstgrößere Stadt gezogen.
Adam hoffte, dass nicht Letzteres der Fall sei. Er erinnerte sich daran, wie er durch ihre Lavendelfelder gerannt war, wie die duftenden Stängel geraschelt und seine Handflächen nach Neubeginn gerochen hatten. Er trank seine Milch, biss von der geklauten Minisalami ab und fragte sich, wie oft sein Dad wohl hier allein im Dunkeln unterwegs gewesen war. Adam war froh, dass er kein Auto geknackt hatte.
Dad hatte immer gesagt, dass Autos eine feine Sache seien, wenn man sie gerade brauchte, aber dass noch nie irgendjemand verhaftet worden sei, weil er zu Fuß unterwegs war. Dads Vorbild folgen. Das war sein Plan. Heute würde er in seinem Versteck das Nachtlager aufschlagen. Der Brief müsste mittlerweile bei Lucy eingetroffen sein. Hoffentlich würde sie mit den anderen Bullen morgen hier aufschlagen – spätestens übermorgen. Im Schlepptau dann das Fernsehen und die Reporter. Und schließlich Dad. Dad würde die Nachrichten hören und wissen, dass Adam dahintersteckte. Er würde kommen, ihn holen und ihn wieder zu sich nehmen. Vielleicht würde sogar dieses verhohlene Lächeln um seine Lippen spielen, das
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