Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
hinter der Schule abgestellt, wo ihn niemand entdecken würde. Das war klug von ihm gewesen, musste Lucy zugeben, während er sie über den Sportplatz in den Wald führte. Das war tatsächlich ein guter Fluchtweg, denn die Polizisten würden von einer ganz anderen Seite anrücken.
Zwei Kinder zu benutzen, damit sie die Drecksarbeit für ihn erledigten und er sicher sein konnte, dass ihn niemand zu Gesicht bekam. Er wollte auf keinen Fall geschnappt werden. Sie wunderte sich, warum er dann Karen so lang und Rachel so nahe an ihrem Zuhause gefangen gehalten hatte. Wenn er sie schnell getötet und die Zelte gleich darauf abgebrochen hätte und umgezogen wäre, hätten er und seine Familie ganz unbehelligt ein neues Leben beginnen können. Stattdessen war er geblieben. Er war entschlossen gewesen, Rachels frommen Glauben zu brechen. Er war nicht dumm, aber er ließ sich ganz offensichtlich mehr von seinen Bedürfnissen leiten als von Sicherheitsvorkehrungen.
»Sie haben Karen länger als jedes andere Opfer in Ihrer Gewalt behalten«, überlegte sie laut, während er sie immer tiefer in den Wald zerrte. Das einzige Licht kam von einer kleinen LED-Taschenlampe, die er auf den Schild seiner Baseballkappe geklemmt hatte.
»Was hat Marion dazu gesagt?«
»Sie hat es verstanden. Sie kam damals nach ihrer ersten Krebserkrankung gerade wieder zu Kräften. Es gefiel ihr, dass ich oft zu Hause blieb. Sie verstand, dass ich etwas brauchte, mit dem ich mich in meiner Freizeit beschäftigen konnte.«
»Karen war all die Monate lang in Ihrem Haus?«
Er kicherte.
»Unten im Rübenkeller. Sie war nicht die Erste und auch nicht die Letzte. Es war Marions Idee. Sie sah so gerne zu. Und sie kümmerte sich gerne um den Fisch, wenn ich unterwegs war. Aber es fiel ihr schwer, als sie ihre Chemotherapie bekam. Sie wurde immer so schnell müde.«
Lucy fiel der Keller im Haus der Caines wieder ein. Der enge Raum mit dem Lehmboden und den Regalen voller Einmachgläsern. Die merkwürdige Anordnung des restlichen Bereichs.
»Adam. Hat er auch viel Zeit dort unten verbracht?«
»Wenn es ihr gut ging, begleitete mich Marion auf meinen kleinen Angelausflügen. Wir wollten nicht das Risiko eingehen, dass sich der Junge verletzte oder dass ihn jemand sah. Also haben wir ihn schön ordentlich unten im Keller untergebracht.«
Er klang, als sei die Zeit, die der kleine Adam dort zwischen den Spinnen und Schatten hatte verbringen müssen, zehnmal besser als ein Ferienlager gewesen. Dann stießen sie auf frische Spuren im Schnee.
»Hier müsste es sein. Ach so, jetzt verstehe ich, was Morgan gemeint hat. Schon komisch, ich bin tausendmal an diesen Felsbrocken vorbeigegangen und habe die Öffnung dahinter nie bemerkt.«
Er schob Lucy in eine enge Spalte.
»Du gehst voran.«
So wie sie da zwischen zwei Felsen eingequetscht war, die Hände auf dem Rücken mit Handschellen gefesselt, wollte Lucy nichts mehr, als sich schreiend in den Schnee zu werfen, selbst wenn Clint sie dort umbringen würde. Alles wäre besser, als in irgendeiner Höhle zu sterben, begraben unter dem massiven Berg, vielleicht unauffindbar für Nick und Megan … Nick und Megan. Die Gesichter der beiden tauchten vor ihrem inneren Auge auf und die Erinnerung an ihr Lachen zermalmte die Panik, die in ihr aufsteigen wollte. Sie konnte weitergehen. Sie musste hier nämlich lebend herauskommen. Für Nick und Megan.
Sie erreichten eine Kammer, die von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde.
»Aufmerksam«, sagte Clint wohlwollend. Er versetzte Lucy kontinuierlich kleine Schubser in den Rücken, damit sie sich vorwärtsbewegte. Sie gingen einen schmalen Pfad entlang und überquerten zwei Flüsse. Der zweite war sehr breit und er zwang sie dazu, ihn zu durchwaten. Als das Wasser bis an ihre Knie reichte und die Strömung drohte, Lucy fortzuschwemmen, lachte Caine höhnisch.
»Vorsichtig, Lucy. Schwimmen ist ganz schön schwierig, wenn einem die Hände auf dem Rücken gefesselt sind.« Als sie vor Kälte schnaufend und mit tauben Füßen beinahe auf der anderen Seite angekommen war, sprang er über das Flussbett und zog sie aus dem Wasser. Ihre Zähne klapperten unkontrolliert.
»Eine kleine Kostprobe von dem, was Marion erleiden musste«, murmelte er. Dann verdrehte er ihr den Arm und zerrte sie vorbei an einer Formation aus Felsblöcken in eine weitere Kammer. Genau in dem Moment, als er Lucys Kopf nach unten drückte, damit sie sich durch die niedrige Öffnung hindurchquetschen
Weitere Kostenlose Bücher