Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
landwirtschaftliches Arbeitsgerät oder Heuballen aufbewahrt. Leicht aufzubauen und leicht zu überblicken. Allerdings grenzte die Rückseite dieser Scheune an einen Höhleneingang. Jenna vergrößerte das Foto und klickte dann durch eine Reihe von Innenaufnahmen der Scheune, die von der Polizeiabsperrung aus gemacht worden waren und auf denen ein blauer Kleintransporter und der Eingang in den Berg zu erkennen waren. Auf dem nächsten Bild sahen die Höhlenwände wegen des benutzten Blitzlichtes wie poliertes Kupfer aus und die Stahlketten, die im Felsen befestigt waren, funkelten festlich. Auf dem unebenen Steinboden sah man einen umgedrehten Zwanzigliter-Eimer und daneben etwas, das wie ein schwarzer Fleck aussah. Lucy wusste, dass es sich dabei um Blut handelte. Um ihr Blut.
Sie schlang die Arme um ihren Bauch. Die Pizza hatte sie völlig vergessen. Ein weiteres Bild zeigte den Felsvorsprung über der Spalte, in der Adams Mutter und der Mörder in den Tod gestürzt waren. Ihre Körper hatte man nie gefunden. Vermutlich waren sie von dem unterirdischen Fluss, der durch die Spalte schoss, in unzugängliche Regionen tief im Berginneren gespült worden.
Das nächste Foto zeigte eine Ansammlung von Fertignahrungspackungen, Wasserflaschen, Nachtsichtbrillen und Kameras sowie die Messer, Elektroschockpistolen und andere Folterinstrumente des Killers. Lucy fragte sich, wie das nach außen hatte sickern können. Lang bevor irgendeine Zivilperson den Tatort betreten konnte, hatten sie sämtliche dieser Gegenstände als Beweismittel konfisziert und entfernt. Danach kam das berühmte Bild, das Bild, das in jeder Zeitung abgebildet wurde. Weil man es in aller Hektik mit einem Mobiltelefon aufgenommen hatte, war es etwas unscharf, aber genau das machte es so dramatisch.
Ein dürrer Junge, das Gesicht von Trauer und Schmerz verzerrt, stützte Lucy und half ihr dabei, die Höhle zu verlassen. In einer Hand hielt sie schlaff ihre Dienstwaffe, während sie mit der anderen versuchte, die Blutung zu stoppen.
Tief aus Jennas Kehle drang ein leises Krächzen. Lucy beugte sich an ihr vorbei und schloss das Fenster auf dem Computerbildschirm. Die Postbeamtin hatte den offiziellen Bildschirmhintergrund durch das Foto eines reitenden jungen Mädchens ersetzt, das mit seinem Pferd gerade über einen hohen Zaun sprang. Ein glänzender roter Pferdeschwanz quoll unter dem Helm hervor. Das Mädchen sah ungebändigt, ekstatisch und furchtlos aus.
»Wie um alles in der Welt bist du bei der Post gelandet?«, brach es aus Lucy heraus.
Jenna antwortete nicht, sondern fuhr mit ihrem Finger die Kontur des Pferdekopfes nach. Auf dem Foto mochte sie ungefähr in Megans Alter sein – und schien genauso kühn.
»Das ist eine lange Geschichte. Nur so viel: Es war nicht unbedingt der Weg, den ich mir ausgemalt hatte.«
Lucy nickte wissend. Das Bild der jüngeren Jenna hatte sie irgendwie dazu gebracht, die Postbotin zu mögen. Genug jedenfalls, um ihr zu vertrauen. Zumindest ein bisschen.
»Hast du Zugang zum Nationalen Verbrecherregister?« Dort liefen alle Daten sämtlicher Strafverfolgungsbehörden zusammen, sei es auf kommunaler, bundesstaatlicher oder nationaler Ebene. Jenna nickte und betätigte ein paar Tasten.
»Klar. Was brauchst du?«
»Kannst du mal kurz einen Namen durchlaufen lassen? Adam Caine. Alter …«
»Ich kenne sein Geburtsdatum aus der New-Hope-Akte. Warum er?«
»Er hat den Brief geschrieben.«
»Ohne Scheiß? Ist er der Junge auf dem Foto? Der Junge, dessen Mutter umgebracht wurde?«
»Ja. Meine letzte Info ist, dass er und sein Vater noch immer in New Hope wohnen.«
»Laut den Daten hier nicht mehr.«
Jenna tippte mit einem Fingernagel gegen den Bildschirm. Französische Maniküre, was sonst. Ihre Fußnägel waren sicher ebenso gepflegt. Das letzte Mal, dass Lucy Zeit für eine Pediküre gehabt hatte, lag zwei Jahre zurück, ein Verwöhngeschenk zum Hochzeitstag von Nick.
»Man hat ihn wegen Landstreicherei und versuchten Diebstahls in Cleveland aufgegriffen und in eine betreute Wohngruppe gesteckt, weil man keine Angehörigen finden konnte. Da ist er vor acht Monaten abgehauen. Er ist zur Fahndung ausgeschrieben. Er soll einen Sozialarbeiter tätlich angegriffen haben.«
Adam war also auf der Flucht. Mist. Sie hätte ihm etwas Besseres gewünscht, nach allem, was er durchgemacht hatte.
»Gib mal seinen Vater ein, Clinton Caine. Er war Fernfahrer.«
Der Computer tat seine Arbeit. »Nichts. Er ist sauber.«
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