Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Jenna probierte noch eine andere Datenbank.
»Es gibt keine Adresse, nur ein Postfach in Altoona, Pennsylvania, 16601. Soll ich noch ein bisschen tiefer graben?«
Vor vier Jahren hatte Adam sehr an seinem Vater gehangen, die beiden schienen ein enges Verhältnis zu haben. Sie hatte den Mann nur einmal gesehen, aber sie erinnerte sich noch an die unbeholfene Weise, auf die Clinton versucht hatte, seinen Sohn zu trösten, und dabei ganz die eigenen Tränen ignorierte, die ihm über die Wangen liefen, nachdem Lucy ihm gesagt hatte, was mit seiner Frau passiert war. Warum sollte Adam von seinem Vater davonrennen? Und was wollte er von Lucy? Irgendetwas stimmte hier nicht. Und wegen dieses Irgendetwas kringelten und krümmten sich ihre Eingeweide auf gruselige Weise.
»Ja. Fang an zu graben. Finde Clinton Caine.«
Jenna tippte weiter und Lucy starrte auf ihr kaltes Essen, während sie mit einer Hand die Narbe auf ihrem Bauch massierte. Die Wunde war weder sehr groß noch sehr tief gewesen, aber manchmal schmerzte sie noch immer wie eine Frostbeule. Vier Jahre, und sie war immer noch nicht wirklich verheilt. Ebenso wenig wie die seelischen Wunden von Adam Caine.
Als er Darrins Haus verließ, fühlte sich Adam ziemlich gut. Er hatte geholfen, Darrins Wäsche zu waschen, und dabei hatte er dem Jungen lauter Geschichten von den wunderbaren Orten erzählt, an die Dad ihn mitgenommen hatte. Dann waren sie nach oben gehuscht, hatten Darrins Bett neu bezogen und der Kleine war endlich eingeschlafen. Bevor er in die Nacht hinausschlüpfte, verriegelte Adam die Kellertür wieder. Sollte sich doch der Fisch darüber den Kopf zerbrechen.
Ursprünglich wollte er zum Schlafen nach Hause in seine Höhle gehen, entschied dann aber, zuerst noch nach Sally zu sehen. Sie und ihre Mutter wohnten in einem Wohnwagenpark außerhalb der Stadt, und der Umweg war nicht besonders groß. Außerdem war er neugierig auf Sally. Von seinen Geschwistern war sie die Jüngste. Sie war noch nicht einmal auf der Welt gewesen, als er und Dad New Hope verlassen hatten. Damals hatte Dad gesagt, dass er keine weiteren Kinder wollte und dass sie damit die Letzte der Caines sei.
Beim Gehen ertappte er sich dabei, dass er eine alte Melodie pfiff. Irgendetwas über den Mond und die Sterne. Ein albernes Lied, aber es führte dazu, dass er sich unbeschwerter fühlte. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal ein Lied im Kopf gehabt hatte. Er wusste nicht, wann er das letzte Mal etwas anderes als Furcht und Wut gefühlt hatte. Jetzt hatte sich ein neues Gefühl dazugeschlichen. Beinahe fürchtete er sich davor, und allein der Gedanke daran ließ ihn schwindelig werden. Aber während er mit Darrin geredet und ihm all die wunderbaren Abenteuer versprochen hatte, die sie haben würden, wenn Dad kam, um sie zu holen, hatte sich etwas in ihm entfacht, das stärker war als seine Furcht und seine Wut: Hoffnung.
Es fühlte sich gut an, obwohl es ihm auch etwas Angst einflößte – als halte man ein scharfes Messer in vor Kälte abgestorbenen Fingern und wusste, dass man sich damit sehr einfach ins eigene Fleisch schneiden konnte, wenn man nicht aufpasste. Aber das war nicht passiert. Er hatte das Messer benutzt, um eine Tür zu öffnen und Darrin zu retten. So, wie Dad es von ihm erwartet hätte. Er hatte getan, was ein großer Bruder tun sollte.
Er erreichte die Wohnwagensiedlung und näherte sich Sallys bescheidenem Mobilheim von hinten, vom Wald her. Er linste durch das Fenster in der Tür und sah das flackernde Licht eines Fernsehers. Ansonsten war der Raum dunkel. Sallys Mutter lag auf der Couch. Unter ihrer aufgeknöpften Bluse war sie nackt. Quer über ihr lag ein dunkelhaariger Mann in Jeans. Er trug kein Hemd, und sein Gesicht lag zwischen ihren Brüsten. Beide waren offensichtlich im Rausch eingepennt. In den limettengrünen Flauschteppich, über dem eine Hand der Frau baumelte, hatte die Glut einer Glaspfeife ein Loch gebrannt. Es war nicht das einzige. Adam rümpfte seine Nase wegen des beißenden, üblen Geruchs nach Katzenpisse. Amphetamine. Es roch so, als rauchten sie das Zeug nicht nur, sondern stellten es auch selbst her. Damit kannte er sich aus. In Cleveland hatte er oft mitbekommen, wie ein Crystal-Meth-Exzess zu einem totalen Zusammenbruch führen konnte. Manche Leute hatten tagelang geschlafen. Wer kümmerte sich um Sally? Sie war gerade erst vier geworden.
Das Hauptschlafzimmer lag am anderen Ende des Mobilheims. Durch das Fenster konnte er
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