Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
Stunde. Er genießt gerade etwas Ruhe in seinem Auto.«
Das klang so gar nicht nach Taylor. Bei ihm war ADHS normalerweise stärker ausgeprägt als bei Megans Klassenkameraden in der Mittelstufe. »Ruhe?«
Jenna nickte, und die Kaffeetasse hob und senkte sich synchron zur Kopfbewegung. Von ihrem Getippe blickte sie noch immer nicht auf.
»Eigentlich wäre ›Zeit für sich allein‹ wohl der bessere Ausdruck. Telefonsex mit der Freundin.«
Lucy spürte, wie eine der Adern an ihrer Schläfe zu pochen begann.
»Während er im Einsatz ist? Für die Sicherheit meiner Familie?«
»Hey, das hält ihn wach. Es ist ja nicht so, dass er die Straße nicht im Blick hätte, während sie in sein Ohr flüstert.«
Lucy drückte ihren Rücken durch und wollte schon nach draußen stürmen, als ihr zwei Dinge auffielen. Zum einen trug sie nur ein altes T-Shirt und einen Flanell-Bademantel. Zum anderen hatte Jenna sie aufgezogen. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung für den Postboten – die Postbotin.
»Der war gut.«
»Fast hätte ich dich drangekriegt, oder nicht?« Jetzt blickte Jenna auf. Ein Lächeln kräuselte die Stupsnase, die zu ihrer cremefarbenen Haut und dem Pferdeschwanz passte. Bei Gott, noch mehr wie das typische amerikanische Mädchen konnte sie gar nicht aussehen, selbst wenn sie es versucht hätte. Niemals würde sie im Undercover-Einsatz für irgendetwas anderes durchgehen als eine Verbindungsstudentin, die einen auf Ghetto-Touristin machte.
»Fast.« Lucy ging zum Kühlschrank. Ihr Magen knurrte. Beim Abendessen hatte sie nur ein paar Bissen herunterbekommen. Sie nahm sich ein Stück kalte Pizza und goss sich ein Glas Milch ein. Als sie sich zu Jenna an den Tisch setzte, sah sie eine ausgebreitete Straßenkarte von Pennsylvania vor Jenna liegen.
»Wozu brauchst du die?«
»Für meine Fahrt nach New Hope morgen früh. Ich traue meinem GPS nicht.«
Mit einem pinkfarbenen Edding hatte sie die Route von Pittsburgh zu einer Kleinstadt an der Grenze zu New Jersey hervorgehoben. Lucy versuchte ihr Grinsen zu verbergen, indem sie einen Schluck Milch nahm. Sollte sie es Jenna sagen? Zu schweigen wäre der beste Weg, um sich Jenna vom Leib zu halten, wenn sie selbst nach New Hope fuhr – in das richtige New Hope. Aber nein. Jenna gehörte zum Team, ob es ihr nun gefiel oder nicht.
»Du solltest diese Route vielleicht noch einmal überdenken.«
»Warum?«
»Es ist das falsche New Hope.«
»Nein, ist es nicht. Im Postleitzahlenverzeichnis gibt es nur ein New Hope, Pennsylvania.«
»Tut mir leid, Fräulein Naseweis, aber unser New Hope ist eingemeindet. Es hat die Postleitzahl von Alexandria. Es liegt genau in der Mitte des Bundesstaates, und zwar hier.«
Lucy zeigte auf einen Punkt auf der Karte und Jenna beugte sich forschend darüber.
»Da ist nichts. Und ich meine: nichts. Nur eine geschlängelte kleine Straße, Route 4004.«
»Woher stammst du eigentlich, Jenna?«
»Aus Los Angeles.«
Jenna ließ von der Straßenkarte ab und wandte sich ihrem Computer zu.
»Warte. Ich habe es auf Google Earth gefunden. Wow, es gibt dort sogar ein paar Häuser.«
»Und eine Grundschule, ein paar Bauernhöfe, Kirchen, ein paar Boutiquen, eine Eisenwarenhandlung und einen Supermarkt. Ob du es glaubst oder nicht, die Leute aus den noch kleineren Orten fahren zum Einkaufen nach New Hope.«
Jenna sah zu ihr hoch.
»Ist es zu klein für eine eigene Polizei?«
»Eine Bezirkswache für mehr als zweitausend Quadratkilometer. Es gibt dort einen Sheriff und sieben Hilfssheriffs.«
»Das ist ganz schön dünn gesät. Die ideale Gegend für einen Serienmörder, der untertauchen will.«
»Die ganzen Kalksteinhöhlen, die überall die Berge durchlöchern, nicht zu erwähnen. Massenweise Eingänge und Schlupflöcher.«
Lucy zog den Laptop näher zu sich heran. Sie hatte noch nie versucht, Fotos von New Hope zu googeln, aber wegen des Bekanntheitsgrades des Falles waren mit großer Wahrscheinlichkeit Bilder ins Netz gestellt worden. Nur wenige Mausklicks später konnte sie Jenna eine Auswahl an Fotos zeigen.
»Das ist der verriegelte Eingang zu der Höhle auf dem Gelände von Stolfultzens Molkereibetrieb. Früher nutzte die Familie die vorderen Höhlen tatsächlich zum Lagern von Milch und Käse. Wenn man weiter in die Höhle vordringt, gelangt man in ein zweites System, dessen Ausgang sich hier befindet.«
Sie klickte auf eine Abbildung, die eine unscheinbare Fertigscheune zeigte. Eine von der Art, in der man
Weitere Kostenlose Bücher