Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
warm und jetzt, da er sich in der Vorderkammer der Höhle befand, konnte er das Geschrei der Kinder nicht mehr hören. Normalerweise fürchtete er sich nicht im Dunkeln, nicht hier in seinem Schutzraum. Aber in dieser Nacht ließ er die Lampe brennen. Nur für den Fall, dass die Kinder etwas benötigten, redete er sich selbst ein. Es war eine Lüge, das wusste er. Er zog die Knie bis an den Brustkorb heran. Sein Herz tat so weh. Wie in der ersten Nacht, als Rick, der Scheißkerl, auf Zehenspitzen in sein Zimmer geschlichen kam. Tränen stiegen ihm in die Augen. Er wollte zu seinem Vater. Er wollte nicht mehr den Erwachsenen spielen. Es war so verdammt schwierig. Irgendjemand würde verletzt werden, und er wäre nicht in der Lage, die Lawine zu stoppen.
»Bitte, lieber Gott«, betete er. »Bitte mach, dass er mich findet. Bald. Bitte, schick mir meinen Dad.«
Das Gebet wirkte tröstender als ein Schlaflied. Es hallte noch in Adams Kopf, als ihm die Augen zufielen und er in den Schlaf hinüberglitt.
Kapitel 20
So sah also eingeschränkte Vollzugsdienstfähigkeit aus, dachte Jenna. Während sie darauf wartete, dass der Hausmeister der Schule das Gebäude aufschloss, stampfte sie mit den Füßen auf den Boden und schlang die Arme um ihren Körper, um sich vor dem auffrischenden Abendwind zu schützen.
Alle verfügbaren Kräfte des Sheriffs suchten nach dem kleinen Marty Brady. Nachbarn wurden befragt, Mitschüler angerufen, die Medien alarmiert. Und Jenna wurde zu seiner Schule geschickt, um sich dort mit dem stellvertretenden Schulleiter zu treffen. Sie sollte Anwesenheitslisten und die Aufzeichnungen der Sicherheitskameras durchgehen. Vielleicht würde man feststellen können, wo und wann Marty zuletzt gesehen wurde. Wenn es der Junge überhaupt bis zur Schule geschafft hatte. Nicht, dass Jenna zynisch war, aber nach allem, was sie schon gesehen hatte, schloss sie nichts mehr aus. Unvorstellbar, was Menschen auf Video aufnahmen, mit der Post verschickten, was sie ihren Kindern antaten.
Auch Lucy rechnete mit allem. Als Jenna zu ihr und Zeller stieß, war sie gerade dabei, Mrs Brady sanft, aber gründlich zu befragen. Sie erkundigte sich nach den Trinkgewohnheiten und dem Gesundheitszustand der Großmutter. Sie versuchte, ein Gefühl für die Dynamik in der Familie zu bekommen. Die Mutter überzeugte Lucy, und deshalb wurde Jenna zur Schule und nicht zu Martys Haus geschickt. Na, super. Damit sie hier draußen in der Kälte und Dunkelheit herumstehen durfte. Obendrein war sie hungrig, weil sie das Mittagessen verpasst hatte, und jetzt würde sie auch noch das Abendessen versäumen, während Lucy wohlig in der warmen Sheriffwache saß. Mit Sicherheit spendierte ein einheimischer Pizzabäcker eine Runde Pizza, um sich bei den Behörden einzuschleimen.
Jenna trat gegen die Tür. Mit ihren halb abgefrorenen Händen wollte sie nicht noch einmal am Eingang rütteln. In Huntingdon hatte sie einen Walmart gesehen und geriet in Versuchung, schnell dorthin zu fahren, um Handschuhe und eine wärmere Jacke zu kaufen. Vor allem, weil weit und breit weder der Hausmeister noch der Schulleiter zu sehen waren. Gerade als sie zu ihrem Wagen zurücktrottete, entdeckte sie eine Person, die durch eines der Fenster in das Schulgebäude hineinspähte. Von der Größe her mochte es sich um einen Teenager oder einen kleinen Erwachsenen handeln. Auf die Entfernung konnte Jenna nicht erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war. Da gab es nur eines. Jenna näherte sich der Person von der Seite. Dabei hielt sie sich in dem Schatten, den die auf dem Dach der Schule montierten Scheinwerfer erzeugten. Ein Mädchen schlich von einem Klassenzimmer zum nächsten und leuchtete mit einer Taschenlampe durch die Fenster, als suchte sie etwas. Oder jemanden. Als Jenna nahe genug herangekommen war, packte sie das Mädchen an einem Arm.
»Würde es dir was ausmachen, mir zu sagen, wonach du suchst?«
Das Mädchen befreite seinen Arm. Aber es rannte nicht davon, auch wenn seine Körperhaltung danach aussah.
»Nach meinem Bruder. Ich dachte, er würde sich hier vielleicht verstecken.«
»Dein Bruder?«
»Er ist heute nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Aber nach dem, was mein Vater gestern Nacht getan hat … Na ja, er liebt die Schule, er sagt immer, er wünschte, er würde hier wohnen …« Sie verstummte. Dann fiel ihr Blick auf Jennas Polizeimarke.
»Oh Gott, ist Darrin etwas zugestoßen? Wissen Sie, wo er ist? Bitte sagen Sie mir, dass es
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