Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
ihm gut geht.«
»Komm mit.« Jenna führte das Mädchen zu ihrem Auto. »Wie heißt dein Bruder?«
»Darrin. Darrin Harding.«
Harding? Den Namen kannte sie. Aus den New-Hope-Akten.
»Wie alt ist dein Bruder?«
»Sechs. Er geht in die erste Klasse.«
»Kennt er Marty Brady?«
»Klar. Marty ist sein bester Freund.« Sie zögerte, als habe man sie bei einer Flunkerei erwischt.
»Na ja, eigentlich ist Marty sein einziger Freund. Warum?«
»Setz dich in den Wagen und warte kurz.«
Jenna blickte auf ihr Handy. Es sah ganz danach aus, als gäbe es nur an diesem Ende des Tals Empfang. Zwei Balken. Das traf sich gut, denn sie wollte nicht noch mehr Zeit dadurch verlieren, dass sie auf der Suche nach Empfang erst noch durch die Gegend kurven musste.
»Lucy? Ich bin’s. Ich bin an der Schule. Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit, mich umzusehen. Aber hier ist ein Mädchen, das seinen Bruder sucht, der nach der Schule nicht nach Hause gekommen ist. Der beste Freund von Marty Brady. Wir haben es mit zwei vermissten Kindern zu tun, nicht mit einem.«
»Wie heißt der andere Junge?«, fragte Lucy.
»Wolltest du vor vier Jahren, als du nach New Hope zurückgekehrt bist, nicht mit Karen Harding sprechen? Und dann hat dich ihr Ehemann aus der Stadt gejagt? Es ist ihr Sohn. Darrin Harding.«
Jenna grinste, als Lucy schwieg. Schön zu wissen, dass man sogar den FBI-Superstar überrumpeln konnte.
»Der alte Hurensohn«, sagte Lucy schließlich. »Bin schon unterwegs.«
Unten in der Grube tanzten lauter Schatten um Darrin. Das war schlimmer, als beim Völkerball das Lieblingsziel zu sein. Das Licht des kleinen Heizkörpers ließ die Höhle nur noch furchteinflößender wirken. Er hielt den Atem an und umklammerte die Knie. Er war sich nicht sicher, aus welcher Richtung die Schatten ihn überfallen würden. Marty setzte sich zu Darrin auf den Schlafsack.
»Hier. Die Uhr von meinem Dad.« Er drückte Darrin seinen Schatz in die Hand. »Guck. Sie leuchtet im Dunkeln.«
»Danke.« Aber gegen die Schatten half das nicht. »Tut mir leid.«
»Ich mag deinen großen Bruder nicht. Er ist gemein.« Marty stand auf und brüllte ein weiteres Mal nach oben: »Ich will zu meiner Mommy!«
Das verzerrte Echo seiner Worte prasselte auf sie nieder wie ein Regenschauer. Es klang wie »Eromi!« Darrin musste lachen. »Ich will auch.« Er stellte sich neben Marty.
»Daffy Duck stinkt!«
»Ack inkt«, antwortete die Höhle.
Als Darrin sich wieder hinsetzte, landete er auf einem harten Gegenstand aus Plastik und besah ihn sich genauer. Es war die coole Kurbellampe, die Adam ihm geschenkt hatte. Kurz danach wurde es wieder heller in der Grube, und die beiden Jungen entdeckten die anderen Taschenlampen, die Adam gekauft hatte.
»Vielleicht wollte er einfach, dass wir lernen, uns im Dunkeln nicht zu fürchten«, spekulierte Darrin. Er gab Marty die Uhr zurück.
»Ich finde ihn einfach nur gemein. Wir müssen hier irgendwie raus.«
Marty erkundete noch einmal die gesamte Grube, obwohl sie das schon vorhin beim Spielen erledigt hatten. Darrin untersuchte die Taschenlampen. Hinter dem Kreis aus Steinen, den sie für das Lagerfeuer gebaut hatten, flackerte ein Schatten auf. Ein Bär oder ein Monster? Darrin stockte der Atem und er richtete gleich zwei Lampen auf das unbekannte Gebilde. Dann musste er lachen. Es war nur Sally, die sich im Schlaf umdrehte. Hier gab es keine Monster.
Sheriff Zeller balancierte auf einem dünnen Seil, das soeben Feuer gefangen hatte. Lucy empfand Mitleid für ihn, aber das war nun einmal das Los von Politikern. Er wollte, dass sie ihm half – obwohl er, um die Wahrheit zu sagen, mit seinen begrenzten Mitteln einen ziemlich guten Job erledigte – aber er musste gleichzeitig ihren Namen raushalten, zumindest fürs Erste, damit die Aufmerksamkeit der Presse und der allgemeinen Öffentlichkeit sich auf die aktuelle Situation konzentrierte und nicht auf die Ereignisse von vor vier Jahren. Ginge alles gut, würde man ihn als Helden feiern. Lief es schief, würde er Lucy zum Sündenbock machen, das wusste Lucy nur zu genau. So war der Lauf der Welt. Das war der Weg, den ein gewählter Amtsinhaber gehen musste. Als sie Zeller von Darrin Harding berichtete, wusste sie, dass sie damit seinen ohnehin schon schwierigen Job noch komplizierter machte.
»Ich fahre zur Schule, sehe mir die Videoaufzeichnungen an und spreche mit der Schwester«, bot sie an. »Aber früher oder später wird Kurt Harding herausbekommen,
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