Blutflecken (Ein Lucy-Guardino-Thriller) (German Edition)
schämte sie sich vor ihm nicht wegen ihrer Schwäche. Als spielte das alles keine Rolle. Als spielte er keine Rolle. Sie spürte nur Erleichterung darüber, dass Lucy, die Superheldin, die Star-FBI-Agentin, die wahrscheinlich in ihrem ganzen Leben kein einziges Mal die Kontrolle verloren hatte, ihren Schwächeanfall nicht mitbekam. Verfluchte Lucy. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war, einfach Jennas Zielperson laufen zu lassen?
»Kann ich dir etwas bringen?«, fragte Bob.
Jenna schüttelte den Kopf. Bob konnte ihr nicht das geben, was sie brauchte. Sie musste die Person finden, die für diesen ganzen Schlamassel verantwortlich war: Adam Caine.
Die Polizeiassistentin führte Lucy und Zeller in ein Besprechungszimmer nebenan. Eine blonde Frau Mitte dreißig lief hinter dem Tisch unruhig auf und ab. Unter ihrem offenen Parka der Marke L.L.Bean trug sie eine weinrote Schwesternuniform.
»Das ist Colleen Brady«, stellte die Sheriffassistentin sie vor.
Zeller ging mit entschiedenem Schritt und ausgestrecktem Arm auf die Frau zu und gab ihr die Hand.
»Sheriff Zeller, Ma’am. Es tut mir sehr leid, dass wir uns unter diesen Umständen kennenlernen. Nehmen Sie doch Platz und erzählen Sie uns, was passiert ist.«
Die Frau nickte, fuhr sich mit dem Handrücken über die Nase und sank auf einen Stuhl.
»Meine Mutter passt auf Marty auf, wenn ich auf der Arbeit bin, und heute hatte ich die Schicht von 8.00 bis 16.00 Uhr. Aber meine Mutter hat eine schlimme Erkältung und nahm etwas Medizin, die sie schläfrig machte, und als ich von der Arbeit losfuhr, rief ich sie an und da wachte sie auf und Marty war nicht zu Hause, und die Sheriffwache liegt auf dem Weg und ich wollte nur, ich wollte …«
Aufsteigende Tränen machten ihr das Weitersprechen unmöglich.
»Also, Sie waren noch gar nicht zu Hause?«, fragte Zeller.
Sie schüttelte den Kopf.
»Dann beginnen wir dort.« Er bedeutete der Assistentin, eine Streife zu Colleens Haus zu schicken.
»Sie und Marty leben bei Ihrer Mutter?«
»Seit Martin eingezogen wurde.«
»Ihr Mann, ist er im Auslandseinsatz?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Gefallen. Im Kampf. Vor vier Monaten.«
»Mein Beileid.« Er schob ihr ein Festnetztelefon hin und stellte den Lautsprecher an.
»Wie heißt Ihre Mutter?«
»Cathy. Cathy Silvetti.« Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer.
»Mom? Hast du ihn gefunden? Ich bin beim Sheriff.«
»Colleen.« Die Stimme der älteren Frau kiekste vor lauter Panik. »Ich kann ihn nirgendwo finden. Ich habe überall nach ihm gesucht.«
Der Sheriff schaltete sich ein.
»Mrs Silvetti. Wir schicken eine Streife zu Ihnen, bleiben Sie bitte ruhig und warten Sie auf die Kollegen. Um wie viel Uhr hätte Marty von der Schule zurück sein müssen?«
Während Zeller die Einzelheiten abfragte, schrieb Lucy ein paar Fragen auf ihren Notizblock, die eventuell hilfreich sein könnten, und schob das Blatt zu Zeller hinüber.
»Und was trug Marty heute?«
»Ich bin nicht … ich weiß nicht …« Die Stimme der Großmutter wurde wieder von Panik erfasst.
»Grünes Fleeceoberteil, darunter ein Spiderman-T-Shirt«, sprang die Mutter ein. »Blaue Jeans, graue, nein, schwarze Turnschuhe. Eine dunkelblaue Jacke und ein rot-blauer Rucksack mit einem Spiderman-Aufkleber, der im Dunkeln leuchtet.«
»Sehen Sie irgendeines dieser Kleidungsstücke im Haus, Mrs Silvetti?«
Man hörte die Großmutter umhergehen.
Zeller sah auf Lucys Notizzettel.
»Und Sie sind sich sicher, dass er heute Morgen in der Schule war?«
Als sie das hörte, schreckte Colleen auf.
»Sie meinen, dass er vielleicht … Oh nein, das ist alles meine Schuld.«
Neue Tränen schossen ihr aus den Augen. Lucy rückte mit dem Stuhl näher zu ihr und reichte ihr eine Schachtel mit Kleenex.
»Was ist passiert?«
»Ich musste gestern Abend eine Extraschicht arbeiten und kam erst nach Mitternacht nach Hause.«
Colleen schnappte nach Luft, als wollte sie ihre Worte unterbinden, konnte es aber nicht.
»Als ich nach Hause kam, wachte Marty auf. Er rannte aus seinem Zimmer und war so aufgeregt und glücklich. Er dachte, endlich sei sein Vater nach Hause gekommen. Als er sah, dass es nicht sein Vater war, bekam er einen Wutanfall, weinte und schrie nach seinem Daddy. Er ließ nicht einmal zu, dass ich ihn umarmte. Und dann bin ich einfach ausgerastet. Ich vermisse Martin so sehr.«
Sie blickte Lucy reuevoll an. »Ich habe ihn angebrüllt. Habe ihm gesagt, dass sein Dad nie wieder nach Hause
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