Blutflucht - Evolution
Möwen machten sich auf die Suche nach einem Frühstück.
Jack schien zu schlafen, weshalb ich mir einige Blicke auf seinen athletischen Körper gönnte. Sekunden später beschloss ich, sein blutverschmiertes Hemd wegzuwerfen. Es war sowieso nicht mehr zu retten. In der Küche flog es in den Müllschacht, wo es sofort atomisiert wurde. Seine Hose wollte ich gleich reinigen, bevor das Blut festgetrocknet war. Also zog ich den Gürtel raus, holte drei zerknitterte Geldscheine und ein paar Münzen aus den Taschen, und warf die Jeans in den Clean-O-Matic. Das Gerät hatte ich mir vor Kurzem geleistet, da es für die uralte Waschmaschine meiner Eltern keine Ersatzteile mehr gegeben hatte. Außerdem brauchte ein Cleaner kein Wasser. Er funktionierte wie eine Art Schleuder, die alle unerwünschten Partikel wie Schmutz und Schweiß einfach von der Wäsche trennte.
Auch an meinen Sachen klebte Jacks Blut. Das erinnerte mich daran, wie wir uns eng umschlungen in der dunklen Nische des Hauseinganges versteckt hatten. Sofort schlug mein Herz wieder schneller. Dort war ich ihm so nah gewesen wie nie zuvor. Noch jetzt spürte ich die Wärme seines Körpers auf meiner Haut.
Erst beim Ausziehen fiel mir mein offener Gürtel auf und schon schoss mir erneut die Begegnung mit den Halbstarken durch den Kopf. Was, wenn Jack nicht aufgetaucht wäre?
Ein plötzlicher Schwindel befiel mich. Das wollte ich mir gar nicht ausmalen, doch diese Frage würde wohl noch länger in den Windungen meines Gehirns rumoren. Außerdem nagten Gewissensbisse an mir, schließlich war ich ja irgendwie Schuld an seinem jetzigen Zustand.
Während der Cleaner fast geräuschlos seine Arbeit tat, tapste ich auf nackten Sohlen ins Bad, um mich so lange zu duschen, bis der Mief der Kneipe nicht mehr an mir klebte. Mein Gesicht und meine Brüste seifte ich besonders intensiv ein und schrubbte sie, bis ich vor Erschöpfung keine Kraft mehr hatte, doch ich wollte die Erinnerung an die ekligen Berührungen für immer loswerden. Meine Kleidung warf ich im Badezimmer in den Müllschacht. Sie würde mich nur an das heutige Grauen erinnern.
Als ich in ein frisches Hemd schlüpfte, klopfte Jack an die offene Badezimmertür. Ich erschrak, denn ich hatte ja gedacht, er würde schlafen. Warum musste er sich immer so anschleichen? Wie lange stand er schon da? Ob er mich beobachtet hatte?
Der Anblick seines blutverschmierten Bauches erinnerte mich an einen billigen Horrorfilm, den ich vor Kurzem im Kino gesehen hatte. Ein psychopathischer Killer hatte seine Familie abgeschlachtet. Aber der sanfte Blick aus Jacks magischen Augen beruhigte mein rasendes Herz. Nein, dieser Mann konnte nur zu den Guten gehören.
»Ich muss mal«, sagte er und grinste schief. Lässig lehnte er mit einer Schulter am Türrahmen und versuchte diskret an mir vorbeizusehen. Ich kam mir ganz nackt vor, nur in meiner Unterwäsche. Er musste sich jedoch genauso unwohl fühlen, schließlich trug er noch weniger am Leib.
Intensiv starrte ich auf seinen Bauch, was er sofort bemerkte. »Ich weiß, ich sehe nicht sehr appetitlich aus. Darf ich auch mal die Dusche benutzen?«
»Äh, klar. Fühl dich wie zu Hause«, stotterte ich und schaute auf meine Füße.
»Ich habe kein Zuhause mehr«, antwortete er leise und schlug die Augen nieder. »Ich bin seit Monaten auf der Flucht.«
Flucht … Dieses Wort hallte durch meinen Kopf. Worauf ließ ich mich hier ein?
Eine Minute lang standen wir nur so da und blickten verlegen auf den Boden, bis Jack die Stille unterbrach. »Dein Hals sieht echt übel aus.«
»Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich jetzt vielleicht keinen Hals mehr.« Ich grinste ihn kurz an und endlich löste sich meine Erstarrung. Sofort wurde ich ernst, nahm ein frisches Handtuch vom Regal und drückte es ihm beim Verlassen des Badezimmers in die Hand. »Wenn ich dir vertrauen soll, musst du mir
alles
erzählen, Jack!«
Er nickte. »Chris. Mein richtiger Name ist Christopher Hayes.«
Dann schloss er die Tür.
Wie ein eingesperrtes Tier lief ich die nächsten Minuten in der Wohnung auf und ab, wobei ich nicht wusste, was ich von diesem Mann halten sollte. So viele Gedanken bombardierten mich. Ich musste wirklich verrückt sein, einen fast Fremden zu mir nach Hause zu nehmen, mit dem offensichtlich irgendwas nicht stimmte. Ich versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, indem ich mir vor Augen führte, was ich über ihn wusste: Er war ein Mutant mit außergewöhnlichen Reflexen und
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