Blutflucht - Evolution
Schreie wie aus weiter Ferne
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Schwester May jagte mir plötzlich eine Spritze in den Arm. Der Raum begann sich zu drehen und ich bekam eine Gänsehaut. Gerade hatte ich mich gefragt, wie lange ich diese furchtbaren Qualen noch aushalten könnte, doch nach dieser Injektion fühlte ich mich wunderbar – meine Schmerzen nahm ich nur noch am Rande wahr
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Währenddessen sprach der Arzt zu sich selbst. »Eine kurze Pause wird wohl nicht schaden, dann arbeite ich mich weiter vor zur Milz, der Lunge und schließlich zu seinem Herz.«
»Das bringt ihn um!«, rief Schwester May. Sie klang entsetzt
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»Halten Sie nur den Monitor im Auge, um den Rest kümmere ich mich.«
Zum Glück ersparte mir Jack diesmal die Details. Eine Weile lagen wir nur schweigend da. Wir weinten beide – ich spürte seine Tränen an meiner Stirn, als sie seine Wangen herunterliefen.
Plötzlich schickte er mir wieder etwas:
Erst war es völlig dunkel. Ich hörte nur einen durchgehenden Ton und Stimmen. Es waren der Arzt und die Schwester. Sie stritten sich, doch ich verstand nicht, worum es ging. Auf einmal sah ich von oben auf mich herab, wie ich dort gefesselt auf dem Bett lag. Aus mehreren Wunden an meinem Körper lief Blut. Aber es war mir egal. Ich empfand keinen Schmerz. Ich fühlte mich frei und schwerelos – einfach wunderbar! Der Arzt und die Schwester versuchten mich wiederzubeleben. Mein Körper zuckte ein paar Mal und als das Überwachungsgerät wieder das monotone PIEP PIEP ertönen ließ, wurde ich in meinen geschundenen Körper zurückgerissen
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»Ich war tot, Kate«, flüsterte Jack mir ins Ohr, »doch das rettete mir das Leben.«
Ich schluckte, wobei ich mich fester an seinen Körper kuschelte. Es war alles so furchtbar! Hätte ich nicht diese Fähigkeit besessen, um es selbst zu sehen, hätte ich es vielleicht nicht geglaubt. Jack war wirklich ein außergewöhnlicher Mann. Niemand anders hätte diese Tortur überlebt!
»Ich lag in einer Art Wachkoma. Ich bekam alles um mich herum mit, auch, dass sie meine Hirnströme überwachten. Es war grauenvoll. Obwohl ich selbstständig atmete und vieles bewusst miterlebte, war ich gefangen in mir selbst, nicht fähig, Kontrolle über meinen Körper zu nehmen. Ohne Protest musste ich zulassen, wie andere mich kontrollierten, meinen Körper von links nach rechts drehten, mich wuschen und mir einen Urinkatheter in die Harnröhre schoben.« Jack schüttelte sich. »Dann wieder stundenlanges, unbewegliches Stillliegen, bis alle Gelenke und Muskeln schmerzten. Das war die Hölle pur … Aber ich wusste – mein Unterbewusstsein hatte mich auf diese Weise ausgeknipst, damit ich mich erholen konnte.
Meine Fesseln hatten sie gelöst und so überlegte ich mir einen Fluchtplan, für den Fall, dass ich aus dieser Starre erwachte. Eine lange Zeit, die mir wie Monate vorkam, harrte ich aus, immer nur in Gedanken bei dir, stets dein wunderschönes Lächeln vor Augen. Ich hatte nur diese eine Chance, die ich nicht verschenken durfte!
Jeden Tag kehrte das Leben mehr in mich zurück und meine Wunden heilten. Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren, als ich endlich glaubte, mein Körper wäre stark genug, um eine Flucht zu riskieren. Da passierte es: Plötzlich konnte ich einen Finger bewegen. Ich wackelte mit den Zehen, spannte meine Muskeln an. Jetzt musste ich schnell machen, denn das EKG würde verraten, dass ich nicht mehr im Koma lag.«
Dann fing Jack wieder an, mir seine Erinnerungen zu zeigen. Das Sprechen strengte ihn zu sehr an:
In meinem Zimmer brannte kein Licht, doch durch das Fenster an der Tür drang genug Helligkeit vom Flur herein, um alles wahrzunehmen. Es musste Nacht sein, das Gebäude wirkte verlassen, alles war so still. Meine Augen brannten, weshalb ich große Mühe hatte, sie aufzuhalten. Jeder Winkel des Raumes wurde von mir inspiziert, ohne meinen Kopf zu bewegen. Jede Anstrengung würde meinen angeschlagenen Kreislauf puschen und damit den Puls rasend erhöhen, den Blutdruck genauso rasch abfallen lassen – das gäbe Alarm
.
Mein Nacken schmerzte furchtbar – alle meine Glieder waren stocksteif. Ich musste mich erst mehrmals strecken, bevor ich es schaffte, mich aufzurichten. Schnell zog ich den Stecker des EKGs, damit kein Alarm losging. Wahrscheinlich war der Überwachungsmonitor im Schwesternzimmer jetzt blank. Sollte den jemand im Auge haben, hätte ich nicht mehr viel Zeit. Also riss ich mir die Elektroden von der Brust und entfernte den Katheter. Zu meinem Entsetzen
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