Blutflüstern: Novelle (German Edition)
Kälte gerötet.
»Danke«, sagte ich, als Robbie vor mir stehen blieb und mir einen Pappbecher reichte.
»Guter Gott, ist es kalt hier draußen«, meinte er, stellte seinen Becher neben mir auf den Kübel und schob sich die Hände unter die Achselhöhlen.
Ich rutschte näher an ihn heran, weil irgendjemand mich anrempelte. »Du warst zu lange weg, Weichei.«
»Rotzgöre.«
Ein Mann in einer orangefarbenen Security-Weste ging an uns vorbei. Vor ihm öffnete sich wie durch Magie ein Weg. Ich beschäftigte mich mit meinem Becher und sah ihn nicht an, als die warme Milch-Schokoladen-Mischung durch meine Kehle rann. Die Flasche mit dem Trank schien in meiner Tasche zu glühen. »Ich hatte völlig vergessen, dass es illegal ist, das Kollektiv anzuzapfen«, flüsterte ich.
Robbie lachte auf, nahm den Deckel von seinem Becher und beobachtete mich mit seinen im Licht der Scheinwerfer hell leuchtenden grünen Augen. »Willst du nach Hause gehen?«, stichelte er. »Und gleich mit mir nach Portland kommen? Da ist es auf jeden Fall wärmer.«
Er brachte mich in Schwierigkeiten, aber dafür war er ja da. Gewöhnlich holte er mich auch wieder raus. Gewöhnlich. »Ich will mit Dad sprechen«, sagte ich und bewegte meine Zehen, um zu testen, wie kalt sie waren.
»Also gut.« Er nippte an seinem Getränk und drehte sich, um mich vor einer Windböe voller Schneeflocken zu schützen, die die Menge aufstöhnen ließ. »Bist du bereit?«
Ich beäugte ihn überrascht. »Ich dachte, wir suchen uns eine kleine Nebengasse oder sowas.«
»Je näher, desto besser. Je mehr Energie du aufnehmen kannst, desto länger wird die Magie halten.«
Das stimmte, aber trotzdem gab ich ein ungläubiges Geräusch von mir. »Du glaubst wirklich, dass es niemand bemerken wird, wenn ein Geist Gestalt annimmt?« Plötzlich wurde mir klar, dass ich einen weißen Zauber in einem verbotenen Bereich wirkte, um in die I.S. zu kommen. Das machte sich sicher toll in meinem Bewerbungsschreiben.
Robbie blickte über die anderen Leute hinweg zum nahe gelegenen Schutzkreis. »Ich glaube, es wird schon laufen. Er wird keinen echten Körper haben. Wenn du es überhaupt richtig machst«, fügte er spöttisch hinzu.
»Halt den Mund«, antwortete ich trocken und hätte ihn geschubst, wenn er nicht den Becher in der Hand gehabt hätte.
Marilyn Manson beendete seine … wirklich seltsame
Version von »Rudolph the Red-Nosed Reindeer« und die Leute an der Bühne schrien nach mehr.
»Sie ziehen die Namen«, erklärte Robbie, der statt der Bühne den Kreis im Blick behielt.
Aufregung packte mich, und während die Menge vorwärtsdrängte, zog ich mich wieder auf den Rand des Pflanzenkübels zurück. Jetzt würde mir niemand mehr Probleme machen, weil ich darauf stand. Robbie trat zurück, bis ich mich an seiner Schulter festhalten konnte; und von meinem neuen Aussichtspunkt aus beobachtete ich, wie der letzte Name aus dem Karton gezogen wurde. Ich hielt die Luft an, weil ich mir gleichzeitig wünschte und mich davor fürchtete, dass es mein Name wäre, der gleich aus den Lautsprechern schallen würde.
Ein anderer Mann mit orangefarbener Weste steckte mit einer offiziell aussehenden Frau mit weißen Ohrenschützern die Köpfe zusammen. Die zwei unterhielten sich einen Moment, wobei sie nickte. Dann nahm sie die Namenszettel entgegen und ging zur Bühne, wo Marilyn Küsse in die Menge warf und seine Beine in engen Strumpfhosen präsentierte. Die Menge drehte sich wie ein Fischschwarm, und es wurde immer lauter, während die Menge sich für sie teilte.
»Kannst du was sehen?«, fragte Robbie. Ich nickte, während mein Knie gegen seinen Rücken stieß.
Erwartung sorgte dafür, dass selbst meine Fingerspitzen kribbelten. Mit dem Rücken an diesem riesigen Felsen und so hoch über allen anderen hatte ich eine fantastische Aussicht. Ich beobachtete, wie die Frau vor der Bühne stehen blieb und zur Band hinaufstarrte. Jemand streckte die Hand aus, um ihr den Aufstieg auf die Holzfläche zu
erleichtern. Ein Lachen ging durch die Menge, als sie den Sprung wagte, und die Frau war offensichtlich ein wenig außer Fassung, als sie sich zur Menge umdrehte. Marilyn gab ihr ein Mikrofon und sagte kurz etwas, bevor die verkniffene Frau zur Mitte der Bühne schritt.
»Ich werde jetzt die Namen verlesen«, sagte sie einfach, und in der Menge breitete sich ein aufgeregtes Murmeln aus. Sie warf einen scheuen Blick hinter sich, als der Schlagzeuger das Ganze noch durch einen
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