Blutfrost: Thriller (German Edition)
aufsteigen.
»Morgen machen sie einen kleinen Schnitt an deinem Arm und an deinem Oberschenkel, dort wo die großen Adern laufen. Dann schieben sie eine dünne Leitung hinein und gucken sich deine Herzklappen auf dem Bildschirm an. Du kannst dabei sogar zugucken.«
Als ich noch immer nichts sagte, sondern sie nur ängstlich ansah,fügte sie hinzu: »Es ist bestimmt richtig cool, sein eigenes Herz im Fernsehen zu sehen, oder was meinst du?«
»Meine Mama erfindet das alles doch nur!«, schrie ich plötzlich, ohne zu ahnen, woher das kam. Plötzlich schien die Zeit stillzustehen, und ich konnte auf mich selbst hinuntersehen, während ich da lag und diese schrecklichen Worte sagte. Das Gesicht der Krankenschwester zog sich zusammen. Aber an dieser Aussage konnte doch nichts dran sein – was war denn sonst mit mir los? Ich war doch krank! Sonst wäre ich doch nicht die ganze Zeit über müde, außerdem würde ich sonst nicht hier liegen. Nein, das Ganze war lächerlich. Meine Mutter liebte mich. Dann sagte die Schwester: »Jetzt mach das hier nicht kaputt, indem du etwas so Dummes sagst, oder gib einfach keine Antwort, wenn sie fragen! Tu einfach, was sie wollen.« Am liebsten hätte ich ihr in den Bauch getreten und wäre weggerannt. Weit, weit weg von zu Hause, um irgendwo eine andere Familie zu finden.
Die Schwester drehte sich zu ihrem Rolltisch um und reichte mir einen kleinen Plastikbecher.
»Die hier musst du nehmen«, sagte sie. Ich schluckte die Pillen gehorsam und zerdrückte den Becher in meiner Hand.
»Ich lass dich ein paar Minuten allein«, sagte sie und verließ das Zimmer. Den Rolltisch ließ sie stehen. Dort lag noch immer das Rasiermesser, und ich starrte es an, während mein Körper schwerer und schwerer wurde und ich immer tiefer in die Matratze versank. Als die Schwester wieder ins Zimmer kam, begann ich schniefend zu weinen. Ich wischte mir mit dem Arm Tränen und Schnodder aus dem Gesicht, während sie die Decke zur Seite schlug und mich an einer Stelle berührte, an der mich noch nie jemand berührt hatte. Der Geruch des eiskalten Rasierschaums und das Gefühl der Klinge auf meiner Haut ließ mich augenblicklich laut aufschluchzen, aber die Schwester drückte meine Beine auseinander und fuhr wortlos mit der Klinge über meine Haut.
»Fertig! War das denn so schlimm?«, fragte sie schließlich wie aus weiter Ferne. Und ja – es war so schlimm.
Am nächsten Vormittag war der Eingriff vorgesehen, und der Halbschlaf tropfte durch die Kanüle in meinem Handrücken, bis ich schlapp wie eine Puppe auf der Matratze lag und mich zwei Männer mitsamt meinem Laken auf ein Rollbett hoben. Ich fühlte mich, als schwebte ich schwerelos durch die Welt, während ich über Gänge geschoben wurde, die von den Sonnenstrahlen, die durch die Fenster fielen, wie ein Backofen aufgeheizt worden waren. Im Licht sah ich Staubflocken tanzen, bis sich plötzlich meine Mutter mit einem Glitzern in den Augen über mich beugte. Wieder erstrahlte sie in diesem göttlichen Licht.
Sie schnitten mit einem Skalpell in meinen Unterarm, und mein Fleisch teilte sich wie das Rote Meer. Eine elektrische Leitung wurde in eine Ader geschoben und immer weiter hinauf, über meine linke Schulter bis in mein Herz.
»Jetzt musst du gucken«, sagte eine junge Schwester und zeigte auf den Bildschirm, auf dem ein pulsierender Klumpen zu sehen war – mein Herz. Es sah aus wie eine Katze, die sich zum Sterben zurückgezogen hatte. »Du bist im Fernsehen.«
Der Arzt – er hieß noch immer Michael – holte mein schlaffes Bein unter dem Laken hervor, beugte sich darüber und schob es zur Seite. Ich starrte es apathisch an, als gehörte es gar nicht zu mir.
Mein Körper öffnete sich erneut unter seinem Skalpell, Blut sickerte heraus, aber ich sah das alles wie aus weiter Ferne, als hätte es nichts mit mir zu tun. Trotzdem zuckte ich mehrmals zusammen, sodass es ihm nicht gelang, den Katheter einzuführen, und er mich schließlich über den Tropf in Tiefschlaf versetzen musste.
Dieser Michael war von sich selbst mehr als überzeugt: Mit meinem Herzen sei alles in bester Ordnung. Mehr könne er nicht für mich tun.
Meine Mutter nahm diese Aussage ein seltenes Mal mit Fassung; sie sah Michael eindringlich und voller Ernst an, während sie kurz und effektiv all das auflistete, was er bereits wusste.
»Aber wie soll es denn jetzt weitergehen?«, fragte sie, ohne den Augenkontakt auch nur eine Sekunde abzubrechen. »Ist es in Anbetracht
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